Die Wanne läuft aus

Die Polizei mustert nach und nach ihre alten Mannschaftswagen aus – die guten, alten Wannen. Damit stirbt ein Dinosaurier des Straßenkampfes. Der neue Bus ist klimatisiert, hat Panoramascheiben und kommt ohne Tankstopp bis nach Gorleben

VON PLUTONIA PLARRE

„Die da oben“ kapieren meist nicht, was der 1. Mai in Kreuzberg für die Uniformierten bedeutet. Polizeiführer machen dann gerne Folgendes: Sie setzen die Person in einen vergitterten grün-weißen Mannschaftswagen – im Volksmund „Wanne“ genannt – und lassen auf dem Gelände der Polizeischule einen Steinhagel auf das Fahrzeug niedergehen. So geschehen mit Eberhard Diepgen (CDU), als der noch Regierender Bürgermeister war, auf dem Gelände der Polizeischule. „Diepgen war kreidebleich, als er rauskam. In seinem Gesicht stand die nackte Angst“, erinnert sich ein pensionierter Beamter schmunzelnd.

Bei Georg Schertz, der von 1987 bis 1992 Polizeipräsident war, war die Show nicht mal fingiert: „Wollen Sie mal mitfahren?“, luden Untergebene Schertz ein, mal eine Runde durch Kreuzberg zu drehen, als es dort mal wieder richtig heftig zuging. „Wir haben uns Klamotten ohne Ende eingefangen und sind auf der Felge wieder zurückgekommen“, erzählen sich die, die damals dabei waren. „Schertz redet darüber heute noch.“

Wenn es ein Symbol für die Zeiten gibt, in denen in Berlin der Straßenkampf tobte, dann ist es die Wanne, im Behördenslang GruKaWe (Gruppenkraftwagen) oder Gru. Was hat sie im Laufe der Jahre nicht alles abbekommen: Farbbeutel, Steine, Flaschen, Zwillengeschosse, Molotowcocktails. Selbst die eine oder andere Gehwegplatte kam in den rauen 80ern von Dächern geflogen. Ungezählte Beulen zeugen davon. Sie rausmachen wäre viel zu teuer gewesen, sie wurden nur überlackiert. 250 Fahrzeuge der Baureihen D 408, 508, 609 und 611 – eine Spezialanfertigung von Mercedes für den Berliner Markt – nannte der Fuhrpark der Polizei einst sein Eigen. Inzwischen gibt es nur noch 164 und es werden immer weniger.

Die Wanne wird ausgemustert. In zehn Jahren, so die Schätzung von Experten, wird die Seyfried-Comic-Vorlage ganz aus dem Berliner Straßenbild verschwunden sein. An ihre Stelle treten kleinere Renault Master und Mercedes Sprinter, eine Mischung aus Kleintransporter und Bully. Von denen ist aber schon jetzt klar, dass sie der altgedienten Wanne nicht das Wasser reichen können.

Anders der D 814. Der schneeweiße Mercedesbus mit bruchsicheren Panoramascheiben ist eine echte Konkurrenz. Nur die aus Bundesmitteln bezahlten Einsatzhundertschaften der Bereitschaftspolizeien bekommen dieses Fahrzeug. 60 von insgesamt 90 Bussen hat Berlin schon erhalten. Am Sonntag in Kreuzberg werden sie im Einsatz sein.

Selbst hartgesottene Wannenfans in den Reihen der Polizei müssen zugeben: Die Reise mit dem vollklimatisierten D 814 zum Castor-Transport nach Gorleben ist ein Genuss. Die in Zweierreihen hintereinander angeordneten Sitze sind gut gepolstert. An jedem Platz gibt es eine Leselampe und einen Klapptisch.

In der alten Wanne saß sich die Mannschaft auf zwei harten Längsbänken gegenüber. Man hatte Beinfreiheit und konnte sich während der Fahrt bequem den OKV (Oberkörpervollschutz) überziehen, ohne den Nachbarn ständig anzurempeln. Dass jeder jeden im Blick hatte, machte die Fahrt zwar kommunikativer, spätestens ab 60 Stundenkilometern ging aber jedes Gespräch im mörderischen Geschepper unter. Lustig wurde es immer dann, wenn der Fahrer plötzlich bremsen musste. Dann rutschte die ganze Mannschaft dem Ersten auf den Schoß, schlug mit den Köpfen zusammen und rutschte im gleichen Tempo zurück.

Eindeutiger Nachteil für den Neuen: Aus dem D 814 kommt man nicht so schnell raus. Der Wagen hat zwar auch eine Hecktür, aber bis sich alle durch die engen Sitzreihen und den Mittelgang geschoben haben, „sind die Störer längst über alle Berge“, befürchten Polizisten. Bei der Wanne brauchte man nur aufzustehen und abzuspringen.

Bei der neuen Einsatztaktik kommt es auf ein paar Sekunden mehr oder weniger allerdings nicht mehr an. Früher fuhren die Einheiten mit den Wannen immer ganz nah an Herd der Randale heran, um Jagd auf Steinewerfer zu machen. Im Bundesgebiet wurde diese Taktik immer mit Kopfschütteln verfolgt. „Ein bayrischer Polizist hätte sein Auto nie einem Steinhagel ausgesetzt“, sagen Kenner. Inzwischen ist man aber auch in Berlin auf die Strategie umgeschwenkt, die Wagen etwas abseits abzustellen und zu Fuß anzurücken.

Aber nicht nur aus Sicht der Polizei hat die alte Wanne ihre Vorzüge: Bei Großeinsätzen waren die Berliner Einheiten, die lange Zeit als Knüppelgarde verschrieen waren, an ihren Wagen sofort für die Demonstranten als solche erkennbar. Das wird in Zukunft nicht mehr so einfach sein, weil der D 814 von allen Bereitschaftspolizeien der Länder gefahren wird.

Ein Gutes hat die Abwicklung aber doch. Der breite Mittelgang eignete sich hervorragend dazu, Festgenommene bäuchlings auf den Boden zu werfen und mit Fäusten und Stiefeln zu bearbeiten, ohne dass es draußen jemand mitbekam.

Unterm Strich gibt es bei dem Neuen eigentlich nur ein Problem: Er hat noch keinen Namen. Aber alle guten Dinge brauchen ihre Zeit. Wie die Wanne zur Wanne wurde, kann heute allerdings keiner mehr sagen.

Selbst die Bild-Zeitung schreibt das Wort inzwischen ohne Anführungszeichen. Und in Polizeikreisen ist der Begriff langsam, aber sicher hoffähig geworden. „Anpassung an die Szene durch häufiges Wiederholen“ nennt ein Polizeibeamter das.