Zu viel Chemie in der Muttermilch

Über 300 Schadstoffe belasten die Muttermilch. Darunter auch solche, die längst vom Markt genommen wurden. Das zeigt eine Studie des BUND. Der Umweltverband fordert deshalb eine Reform der Chemikalienpolitik, rät aber nicht vom Stillen ab

VON BRITTA BARLAGE

Polychlorierte Biphenyle (PCB) galten einst als Allroundchemikalie. Sie wurden als Weichmacher in Fugenmasse eingesetzt oder als Feuerschutz in Farben. Ihre Giftigkeit wurde in den Siebzigerjahren durch Unfälle in Reisölfabriken in Asien bekannt. Dabei erkrankten viele Menschen an Krebs und Chlorakne. In Deutschland darf die Substanz seit 1989 nicht mehr verwendet werden. In Muttermilch finden sich PCB jedoch noch heute, ebenso wie mindestens 300 andere Schadstoffe. Das zeigt eine Studie, die der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gestern vorstellte.

Die Studie stellt aktuelle Daten der Muttermilchbelastung zusammen und kommt zu dem Ergebnis, dass sich unter den nachgewiesenen Stoffen neben schon verbotenen auch immer mehr neue Substanzgruppen finden, etwa Weichmacher, Flammschutzmittel und Duftstoffe. Deren Gefährlichkeit ist oft noch gar nicht ausreichend erforscht. Der BUND fordert deshalb eine neue Chemikalienpolitik. „Wir dürfen die Risikobewertung nicht allein der Industrie überlassen“, so BUND-Chemieexpertin Patricia Cameron. Sonst seien Fälle wie die der Substanz PCB, deren Giftigkeit erst zu spät bekannt wurde, programmiert.

Laut BUND sind von den mehr als 100.000 in der EU hergestellten Chemikalien 97 Prozent niemals auf ihr Gefahrenpotenzial untersucht worden. Der BUND will, zusammen mit anderen Umweltverbänden wie Greenpeace und WWF, auf den Gesetzgebungsprozess in Brüssel Einfluss nehmen. Die EU-Kommission plant ein neues Chemikalienrecht mit dem Kürzel Reach (Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien). Der aktuelle Entwurf, über den das EU-Parlament bis Oktober entscheiden muss, geht den Umweltverbänden jedoch nicht weit genug. Sie fordern strengere Zulassungen, Sicherheitstests für mehr Stoffe als bisher vorgesehen, unabhängige Kontrollen und eine bessere Information der Verbraucher über Risiken.

Vom Stillen rät der BUND trotz der Besorgnis erregenden Ergebnisse seiner Studie aber nicht ab. Er schließt sich damit der Nationalen Stillkommission an, die seit 1995 das Stillen ohne Einschränkungen empfiehlt. Der Nutzen des Stillens – etwa der Schutz vor Allergien und die Förderung der Mutter-Kind-Beziehung – wird höher bewertet als das derzeit bekannte Risiko.

Allerdings wurden Risiken, die noch überprüft werden oder eben unbekannt sind, nicht mit in die Abwägung einbezogen. Und so betont der BUND, dass synthetische Chemikalien in Muttermilch grundsätzlich „nichts zu suchen haben“. Vor 1995 war Müttern offiziell geraten worden, ihre Milch bei einer Stilldauer von mehr als vier Monaten auf Rückstände untersuchen zu lassen. Weil aber immer weniger Pestizide, Dioxine und PCB in der Muttermilch nachgewiesen wurden, gilt nun die generelle Stillempfehlung.

Auch die BUND-Studie zeigt, dass die Mengen der „alten“ Schadstoffe wie PCB aufgrund der Verbote in den vergangenen Jahren abgenommen haben. Dennoch gibt die Studie auch für PCB keine Entwarnung. Ein Grund dafür: Bis heute fehlen gesicherte Warn- oder Eingriffschwellen für medizinisch relevante Konzentrationen, zum Beispiel auch in der Muttermilch. Das sei, so die Studie, „beileibe keine Erfolgsstory“ und sie sei „schon gar nicht abgeschlossen“.