Verhandeln bis zur Verjährung der Tat

Zwei Verfahren befassen sich in Italien mit Misshandlungen in Polizeigewahrsam und der blutigen Stürmung einer Schlafstätte während der Gegendemonstrationen zum G-8-Gipfel in Genua 2001. Die Anwälte der beklagten Polizisten spielen auf Zeit

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Eines der dunkelsten Kapitel des G-8-Gipfels von Genua 2001 wird seit gestern juristisch aufgearbeitet: die brutalen Gefangenenmisshandlungen im Polizeigefängnis Bolzaneto. 45 Polizisten und Gefängniswärter müssen sich in der jetzt eröffneten Hauptverhandlung wegen Körperverletzung, Amtsmissbrauchs und Falschbeurkundung verantworten.

Nach Bolzaneto wurden im Juli 2001 alle während der Anti-G-8-Proteste festgenommenen Demonstranten ebenso geschafft wie die 93 bei dem nächtlichen Sturm auf die Schule Scuola Diaz zusammengeschlagenen Gipfelgegner. Einmal in Polizeigewahrsam, wurden die meisten der über 250 Opfer von den Polizisten systematisch misshandelt, mussten stundenlang an den Wänden stehen, wurden geschlagen, getreten, gedemütigt. Einem Gefangenen wurden die Finger der Hand gespreizt, bis die Haut zwischen den Fingern aufriss, einem anderen wurden Piercings einfach ausgerissen. Beteiligt an dieser Folter war auch ein Arzt, der im Tarnanzug zum Dienst angetreten war – und der jetzt zu den Angeklagten gehört.

209 der in Bolzaneto Gefolterten – unter ihnen auch einige Deutsche – haben sich bis gestern als Nebenkläger konstituiert; viele von ihnen waren gestern gemeinsam mit Unterstützern zum Prozessauftakt angereist, um mit einer Mahnwache vor dem Gerichtsgebäude für Aufmerksamkeit zu sorgen. Denn nur scheinbar ist die Aufarbeitung der staatlichen Gewaltorgie von Genua mit dem gestern begonnenen Bolzaneto-Prozess und mit dem Prozess um den Sturm auf die Scuola Diaz, der morgen wieder aufgenommen wird, auf einem guten Weg.

Die Genua-Opfer beunruhigt vor allem, dass die Verfahren äußerst schleppend laufen. Daher können viele der angeklagten Beamten darauf hoffen, in den Genuss der Verjährung ihrer Straftaten zu kommen, ehe der Weg durch alle drei Instanzen irgendwann abgeschlossen ist. Anders als in den meisten Ländern läuft in Italien die Verjährung auch bei laufendem Verfahren weiter. So verjähren die Anklagen gegen die Einsatzleiter des Sturms auf die Scuola Diaz 2007. Schlechter sind die Beamten dran, die sich im Fall Bolzaneto wegen Falschbeurkundung verantworten müssen, weil sie die in den Protokollen vermerkten Verletzungen der Festgenommenen unterschlagen hatten. Ihre Verjährungsfrist läuft bis 2016.

Aber auch sie dürfen hoffen; Italiens Parlament berät nämlich zurzeit ein Gesetz, das die Verjährungsfristen für Angeklagte ohne Vorstrafen halbieren soll. Das Gesetz soll eigentlich Cesare Previti, den Anwalt und Berlusconi-Intimus, vor der Haftstrafe wegen Richterbestechung retten – Nutznießer wären aber auch alle in Genua angeklagten Polizisten. Das Verfahren um die Scuola Diaz müsste sofort eingestellt werden, und der Prozess um Bolzaneto wäre spätestens 2009 am Ende; bei 600 geladenen Zeugen wird es den Verteidigern ein Leichtes sein, das Verfahren entsprechend lang hinzuziehen.

Auch dieser Nebeneffekt des Gesetzes zur Verkürzung der Verjährungsfristen wäre ganz im Sinne der italienischen Regierung. Die zeigt mit konkreten Taten schon jetzt, dass sie die angeklagten Polizisten von Genua für Helden hält und nicht für Verbrecher. So wurde einer der Hauptangeklagten des Bolzaneto-Prozesses, Alessandro Perugini, erst vor wenigen Monaten zum Vizepolizeipräsidenten befördert. Perugini hatte in Bolzaneto als Einsatzleiter gewirkt und war zudem als Mitglied eines Rollkommandos aufgefallen, das auf offener Straße einen 16-jährigen, wehrlosen Demonstranten krankenhausreif geschlagen hatte.