„In Vietnam lebt man entspannter“

Dat Vuong

„Ich bin in Deutschland immer gut behandelt worden. Die Ausländerfeindlichkeit der Deutschen empfinde ich oft als Vorurteil. Sicher hängt das auch mit meiner selbstbewussten Grundhaltung zusammen“

„Monsieur Vuong“ war einer der ersten Vietnamesen in der Stadt und ist mittlerweile eine Institution. Dat Vuong (30 plus) begreift sein Restaurant als Mission: Er will die Deutschen für die (Ess-)Kultur seines Landes öffnen und die Vietnamesen vom Zigarettenmafia-Image befreien. Zu ihm pilgern alle, die hip sind – und das sind in Mitte nicht gerade wenige. Ohne seinen Papa Hoanh Tuy Vuong (72) geht aber nichts. Er ist die Seele des Ladens und bei den Gästen sehr beliebt. Vater und Sohn sind 1987 per Boot vor dem kommunistischen Regime geflohen. Dafür wollen sie sich bei dieser Gelegenheit ausdrücklich bedanken.

VON TINA HÜTTL UND DAVID DENK

taz: Dat Vuong, Ihr Vater ist in Ihrem vietnamesischen Restaurant sehr präsent. Auf der Speisekarte, auf Flyern und auch ganz groß an der Wand hängt das Bild, das ihn in jungen Jahren zeigt. Ist das nur ein Marketing-Gag?

Dat Vuong: Der Papa ist das Sinnbild von meinem Laden „Monsieur Vuong“. In Asien geht man immer zu Frau oder Herrn Soundso zum Essen. Wir wollten uns als Familienbetrieb darstellen, das funktioniert.

Fragen Ihre Gäste häufig, wer denn der hübsche Kerl ist?

Papa spricht Männer und Frauen gleichermaßen an. Natürlich denken viele, ich wäre der junge Mann auf dem Bild. Wenn sie dann aber ganz genau hinschauen, sehe ich besser aus (lacht).

Was die muskulösen Oberarme angeht, können Sie aber nicht mithalten. Ihr Vater war wohl sehr sportlich.

Papa war im Vorstand des Saigoner Sportvereins und hat Bodybuilding und Taekwondo gemacht. Dort hat er das Bild mit dem Selbstauslöser aufgenommen. Er war ja auch Fotograf und Kriegsreporter während des Vietnamkrieges.

Stand das Bild auch am Anfang oder wie kam Ihnen die Idee zu „Monsieur Vuong“?

Ich hatte schon während meines Japanologiestudiums das Bedürfnis, vietnamesische Esskultur in moderner Form zu präsentieren und den Deutschen zugänglich zu machen – damit sie wissen, wie wir sind und was wir essen. Deshalb habe ich mein Studium abgebrochen und vor sieben Jahren einen kleines Restaurant in der Gipsstraße aufgemacht.

Sie waren einer der ersten Vietnamesen in Berlin und hatten einen Riesenerfolg. Was ist das Geheimnis?

Bis wir aufgemacht haben, gab es zwar viele von Vietnamesen betriebene Restaurants. Aber sie traten nicht vietnamesisch, sondern als Thai-Restaurants, Asia-Snacks und die übliche China-Pfanne auf, manchmal sogar in einer Mischung aus allen Variationen. Viele Vietnamesen hatten Probleme, sich zu ihrer Nationalität zu bekennen. Hinzu kam, dass viele hier bei Vietnamesen sofort an die Zigarettenmafia dachten.

Es war also für Sie ein Statement, sich öffentlich als vietnamesischer Gastronom zu präsentieren.

Ganz genau. Das war die Motivation. Nach einiger Zeit haben viele andere Vietnamesen durch unser Beispiel gesehen, dass unsere Esskultur gut ankommt und angefangen, vieles zu kopieren. Schade, dass sie unseren kulturellen Beitrag meistens nicht durch eigene Ideen ergänzt haben.

Wegen des großen Andrangs haben Sie mittlerweile einen größeren Laden in der Alten Schönhauser Straße aufgemacht. Aber noch immer bekommt man bei Ihnen nie einen Platz …

Den Leuten gefällt unser Konzept. Wir bieten ganz wenige Gerichte an, dazu zwei wechselnde Tagesgerichte. Alles wird authentisch und frisch vor den Augen der Kunden zubereitet. Hier in Deutschland erscheint dieses Konzept sehr neu, aber in Vietnam gibt es das schon lange. Dort geht man ins Suppenhaus, wenn man Lust auf Suppe hat. Wer Nudeln will, geht zur Nudelküche.

Sie haben hervorragendes Essen, gar keine Frage …

Danke …

aber Sie haben es auch geschafft, eine bestimmte Szene anzusprechen. Man will zu Monsieur Vuong, weil es hip ist.

In Mitte konzentriert sich eine bestimmte Zielgruppe, die sehr offen ist und deren Lebensgefühl wir eben ansprechen. Hier lebt eben nicht nur die alte DDR-Struktur, sondern eine internationale Szene von Künstlern, Kreativen, Studenten und ein paar Prominente. In Marzahn oder Hellersdorf würde unser Konzept gar nicht funktionieren. Dort gehen die Leute lieber ins China-Restaurant mit Goldverzierungen.

Bei Ihnen gibt es dagegen ein von befreundeten Architekten durchgestyltes Interieur: Worauf haben Sie Wert gelegt?

Ich wollte die Räume frei von Klischees halten. Übersichtlich, mit warmen Materialien und angenehmen organischen Formen. Wir haben dabei natürlich Feng-Shui berücksichtigt, aber ohne dekorativen Schnickschnack.

Zu wohl soll man sich hier aber auch nicht fühlen. Die meisten Sitzgelegenheiten haben keine Rückenlehnen.

Das sind die Prinzipien einer Garküche, wo alles zwanglos ist. Man kommt her, um eine gesunde Suppe zu essen, und kann auch gleich wieder zurück zur Arbeit – ohne lange Zeremonien und ohne Formalitäten. Deswegen nehmen wir auch keine Reservierungen an.

Profitieren Sie eigentlich vom derzeitigen Asia-Boom?

Klar ist das auch eine Sache des Zeitgeistes. Viele Menschen empfinden die fernöstliche Lebenslehre als sehr nah und nachvollziehbar.

Andererseits bleibt den Deutschen vieles fremd, vor allem die Asiaten selbst.

Das ist richtig, liegt wohl aber eher daran, dass die asiatischen Communities sich sehr gut anpassen. Sie leben unauffällig und unpolitisch in der deutschen Gesellschaft – ohne sich einzumischen. Auch wegen der Sprachprobleme bleiben die älteren Asiaten oft unter sich. Die Jüngeren dagegen sind so mit der westlichen Gesellschaft verwachsen, dass sie oft nicht einmal mehr die Sprache ihrer Eltern besonders gut sprechen. Das finde ich sehr schade.

Und bei Ihnen? Fühlen Sie sich eher deutsch oder vietnamesisch?

Ich bin deutscher Staatsbürger, trage aber zwei Kulturen in mir. Die vietnamesische drückt sich zum Beispiel durch meine Höflichkeit aus. Meine deutsche Seele lässt mich selbstbewusst und individuell auftreten – und nicht so angepasst wie andere Asiaten.

Zumindest was Ihre Kleidung betrifft, kann man Sie von Ihren hippen Gästen nicht unterscheiden. Gehören Sie wirklich dazu oder bleiben Sie doch der vietnamesische Dienstleister?

Hier in Mitte gibt es auch viele schöne Sachen zu kaufen. Ich fühle mich total integriert. Denn das Schönste an meiner Arbeit ist, dass sehr viele Kunden zu Freunden geworden sind. Die meisten sind Deutsche. Das habe ich so nicht erwartet. Aber Essen bringt halt Menschen zusammen.

Sehen Sie Deutschland mittlerweile als Ihre Heimat?

Ich weiß, wo ich herstamme. Aber ich weiß auch, wo ich hingehöre, nämlich hierher. Trotzdem will ich meine Heimat immer wieder besuchen. Optimal wäre für mich, zwischen beiden Welten pendeln zu können.

Wie ist es bei Ihrem Vater?

Mein Vater hat manchmal Heimweh und spricht die deutsche Sprache nur sehr schlecht. Anders als ich, ist er seit 18 Jahren nur einmal in Vietnam gewesen, denn er ist aus politischen Gründen geflohen. Mein Vater dankt deshalb ausdrücklich der deutschen Regierung, dass sie uns aufgenommen hat.

Wann war das?

Meine Mutter ist Anfang der 80er-Jahre mit Cap Anamur nach Deutschland gekommen. Wir leider erst 1987 im Rahmen der Familienzusammenführung, weil wir auf der Flucht per Boot erwischt wurden und Papa drei Jahre ins Gefängnis musste, ich einen Monat.

Warum sind Sie geflüchtet?

Mein Vater hat für die Amerikaner gearbeitet. Nach der so genannten Vereinigung von Südvietnam mit dem kommunistischen Norden hatten wir keine Chancen auf Arbeit oder Ausbildung.

Sie selbst waren damals 17 Jahre alt. War das ein Kulturschock?

Ich war froh, aus Vietnam weg zu sein und meine Mutter wieder zu sehen. Natürlich war es mühsam. Ich fühlte mich sehr einsam, musste die Sprache lernen. Wir sind damals in Solingen gelandet …

„Bis wir aufgemacht haben, gab es zwar viele von Vietnamesen betriebene Restaurants. Aber sie traten nicht vietnamesisch auf. Viele Vietnamesen hatten Probleme, sich zu ihrer Nationalität zu bekennen“

einer Stadt, in der 1993 Rechtsextreme ein Wohnhaus anzündeten und fünf Menschen töteten. Haben Sie auch negative Erfahrungen gemacht?

Ganz und gar nicht. Ich bin in Deutschland immer gut behandelt worden. Die Ausländerfeindlichkeit der Deutschen empfinde ich oft als Vorurteil. Sicher hängt das auch mit meiner selbstbewussten Grundhaltung zusammen.

Wie ging es weiter?

Ich bin nach Hannover gegangen, wo ich mein Abitur nachgeholt habe. Danach kam ich dort für zwei Jahre in einem buddhistischen Tempel unter. Das war eine schöne Zeit. Ich habe meinen Glauben aufgefrischt.

Gleichzeitig haben Sie sich in die deutsche Kultur integriert. Wie geht das zusammen?

Ich habe viele deutsche Freunde, die sich nicht einmal vorstellen können, innerhalb Deutschlands umzuziehen, geschweige denn in ein anderes Land. Wir Asiaten sind da flexibler und offener. Vielleicht ist das auch der Kern unseres wirtschaftlichen Erfolgs.

Wenn Sie heute nach Vietnam fahren, ist es Ihnen fremd geworden?

Wenn ich einmal im Jahr meine Großmutter in Saigon besuche, merke ich, wie das Land sich gen Westen öffnet – mit einem Unterschied: Dort herrscht weniger Stillstand als in Europa.

Beneidet man Sie in Vietnam?

Jeder im Ausland lebende Vietnamese wird als reicher Exilvietnamese betrachtet. Aber viele wissen gar nicht, wie hart wir hier arbeiten. In Vietnam lebt man entspannter.

Bringen Sie von Ihren Reisen Inspirationen für Ihr Restaurant mit?

Jede Menge! Beispielsweise habe ich dort unsere getöpferten und handbemalten Teeschalen machen lassen. Auch knüpfe ich Kontakte zu Lieferanten, die dann bestimmte Kräuter und Gewürze für unsere Küche importieren.

Beißen Sie auch gern mal in eine Currywurst?

Natürlich. Ich gestehe aber, die Berliner Speisen sind mir fremd geblieben. Lieber mag ich die schwäbische Küche: Kässpätzle und Maultaschen, vielleicht wegen der Nudeln.