Frühchen empfinden Schmerz

Dass Frühgeborene Schmerz empfinden, ist heute gut belegt. Doch geprüfte Schmerzmittel für Babys stehen den Ärzten nicht zur Verfügung

Manche Babys haben es besonders eilig. Sie kommen vor der 30. Schwangerschaftswoche auf die Welt. Das Leben dieser Frühchen beginnt jedoch extrem stressig: Auf der Intensivstation müssen sie in einem geheizten Glaskasten liegen, die fragile Lunge wird künstlich beatmet, Nahrung erhalten sie intravenös. Zudem drohen Blutarmut und Infektionen. Frühgeborene müssen deshalb im Durchschnitt 14-mal am Tag diverse therapeutische Prozeduren durchlaufen, in komplizieren Fällen kann sich diese Zahl auf 50 erhöhen. Doch was fühlt das Baby dabei? Fühlt es Schmerz?

Was viele Ärzte und Krankenschwestern intuitiv mit einem Ja beantworten würden, wird durch neue Studien gestützt. Lange ging man allerdings vom Gegenteil aus. Man dachte, gerade die kleinen Frühchen empfänden keinen Schmerz oder könnten sich zumindest später nicht daran mehr erinnern.

Heute gibt man meist vorsorglich schmerzstillende Mittel. Diese sind jedoch nur an Erwachsenen erprobt. Und so gibt es keine allgemein gültigen Richtlinien. Manche Kliniken haben zwar gewisse Standards erarbeitet, in anderen ist das medizinische Personal mit seiner Entscheidung aber völlig auf sich allein gestellt.

Um Anästhetika in Zukunft genauer dosieren zu können, muss man wissen, wie unangenehm die intensiv-medizinischen Behandlungen dem Kind sind. Vor allem, weil frühere Arbeiten gezeigt haben: Wird das unreife Nervensystem der Frühgeborenen traktiert, entwickelt es sich nicht normal. Solche Kinder schreien später schon bei dem kleinsten Piks oder reagieren gar nicht auf entsprechende Reize, was das Risikoverhalten lebensgefährlich verstärken kann.

Es gibt zwar bereits einige Merkmale, die in einer Skala erfasst werden und die auf gefühltes Leid hindeuten: etwa ein verzerrter Gesichtsausdruck, Herzrasen oder schnellere Atmung. Dies ist jedoch auch der Fall, wenn das Kind Hunger hat oder friert. Neuere Studien haben sich daher damit befasst, ob der zugefügte Reiz in einer Gehirnregion genannt Cortex verarbeitet wird. Und sie legen nahe, dass das Frühgeborene tatsächlich so etwas wie Schmerz empfinden kann. Sogar bei den Kleinsten konnten Forscher am University College London mithilfe einer nichtinvasiven Methode messen, dass der kindliche Cortex auf Blutentnahme mit einer erhöhten Aktivität reagierte. Die Gehirnregion wurde stärker durchblutet.

Für ein Schmerzempfinden spräche auch, dass Neugeborene Babys vermehrt Stresshormone im Blut schwimmen haben. Gleichzeitig leiden diese Kinder später häufiger unter Lern- und Angststörungen, was eine Folge der Strapazen im Brutkasten sein könnte. Noch nicht geklärt ist allerdings, ob sich die Kinder der Schmerzen auch bewusst werden, ob sie wie Erwachsene Stiche in den Arm oder Sonden im Magen auch emotional verarbeiten und speichern.

Studien, die das Schmerzempfinden belegen, könnten die Suche nach geeigneten Schmerzmitteln anstoßen. Vielleicht gibt es ja auch eine ganz einfache Methode, die laut einer Cochrane-Studie zumindest rechtzeitig geborenen Babys Linderung verschafft: Muttermilch. Und die hat vermutlich keine Nebenwirkungen. KATHRIN BURGER