Toll! Berlin!

Die Norwegerin Hanne Hukkelberg hat in Prenzlauer Berg gelebt. Ihre Folkindietronik-Platte heißt „Rykestraße 68“

Platz 16 auf der kürzlich veröffentlichten Weltrangliste der Mercer Gruppe, ungebrochen beliebt bei TouristInnen aus aller Herren und Frauen Länder, und das trotz fast komplett abgebauter Mauer, lang beendeter Fußball-WM und konstanter Finanzkrise: Berlin übt eine sehr große Anziehung aus. Gerade bei Künstlern und Musikern aus dem teuren Ausland ist die Hauptstadt sehr beliebt, was natürlich an den vorhandenen (Sub-)Kulturstrukturen und nicht zuletzt den billigen Mieten liegt. Kein Wunder, dass die Liebe zu dieser Stadt immer häufiger besungen wird: Von Bloc Party gibt es ein Loblied auf „Kreuzberg“, die Flaming Stars singen über den „Treptower Park“, Electrelane über die hochtourige „Tram 21“ oder gleich über das Leben in der Stadt an sich („In Berlin“).

Die Norwegerin Hanne Hukkelberg hat eine ganze Platte nach ihrer zeitweiligen Wahlheimat benannt: „Rykestraße 68“. Keine schlechte Adresse, muss man sagen, jedenfalls liegt die Straße im über die Jahre hochgeputschten Kollwitzkiez in Prenzlauer Berg, einem Mekka der Familiengründung und ehemalig alternativ-bürgerlichen Lebensweisen mit herausgeputzten Häusern, Riesenspielplätzen und wöchentlichem Biomarkt.

Alternativ-bürgerlich klingt, wenn man so will, auch die Musik auf dieser Platte. Also wohlfeil, was die Strukturen angeht, anschmiegsam und lässig, dabei mit einer Oberfläche, die sich immer noch kratzig und eigenständig geben möchte. Mit anderen Worten: Hanne Hukkelberg macht Laptop-Pop mit Jazz-Einsprengseln, viel Elektronischem und einigem Folk, dabei mit offensichtlichen Wurzeln im Indierock, was sich nicht allein durch die symptomatische Pixies-Coverversion „Break My Body“ beweist. Symptomatisch, weil gekonnt ausgesucht, sehr verfremdet und somit zu etwas sehr Eigenem gemacht, und mit dieser durchdringenden Stimme gesungen, die der Mittzwanzigerin Hukkelberg schon Vergleiche mit Stina Nordenstam, Joanna Newsom oder gar Billie Holiday eingebracht hat.

Überhaupt die Stimme: Es galt ja mal, so lang ist es nicht her, als schick, eben nicht singen zu können. Gesangskunst war Hochkultur, war Hochglanz, Virtuosentum, Konformität, kurz: Feind. Mittlerweile hat sich auch das geändert, auf Stimmen wird wieder besonders geachtet, siehe Newsom oder Nordenstam. Für die ausgereifte Stimme Hukkelberg wird es nicht leichter, unvergleichlich zu werden, denn selbst die Störelemente in Hukkelbergs Musik (Fiepen, Zirpen, Schaben, langatmige Intros, breite Arrangements) kennt man mittlerweile in aller Verschrobenheit von vielen anderen.

Trotzdem ist „Rykestraße 68“ keine überflüssige Platte, was nicht allein am Lokalbonus liegt. Im Eingangsstück, das schlicht „Berlin“ heißt, singt sie von den Punks vorm Supermarkt, die schwarzweiß gedruckte Fanzines verkaufen. Dazu schnarrt eine Akustikgitarre, im Hintergrund rauscht es mächtig.

Man fühlt sich wieder wohler zu Hause, wenn man das hört, auch wenn man inzwischen die Spreeseite gewechselt hat. Hukkelberg ist selbst auch zurückgekehrt ins kalte Oslo, wo man sie gleich für einen Schallplattenpreis nominiert hat. Drücken wir ihr die Daumen. RENÉ HAMANN

Hanne Hukkelberg: „Rykestraße 68“, erschienen bei Nettwerk/Soulfood. Konzert am 11. 4. im Babylon Mitte