„CDU redet Geschichte schön“

Filbinger war eindeutig Nationalsozialist, sagt der Historiker Frank Bösch. Schon vor Oettingers Grabrede gab es in der Union Versuche, die Fakten zu verdrehen

FRANK BÖSCH, geb. 1969, ist Historiker an der Universität Gießen und leitet dort den Lehrstuhl für Fachjournalistik Geschichte. Er hat sich in zahlreichen Veröffentlichungen mit Parteien, besonders mit der Union, beschäftigt. Bösch ist Autor des Buches „Macht und Machtverlust: Die Geschichte der CDU“. cak

taz: Herr Bösch, bei der Trauerfeier für den früheren Nationalsozialisten Hans Filbinger sagte der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU), „Hans Filbinger war kein Nationalsozialist“. Müssen wir die Geschichte neu schreiben?

Frank Bösch: Das ist eine große und lange Debatte, wer ein Nationalsozialist war. Es ist Konsens in der Forschung, dass Nationalsozialisten nicht nur blonde, arische, junge Männer waren. Es gibt viele Graubereiche, und genau diese machen den Nationalsozialismus aus. Hans Filbinger war Mitglied der SA und der NSDAP, somit könnte man ihn bereits als Nationalsozialisten bezeichnet.

Oettinger sagte auch: „Es gibt kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte.“ Der Verstorbene habe als Marinerichter „nicht die Entscheidungsmacht und nicht die Entscheidungsfreiheit gehabt, die seine Kritiker ihm unterstellen“. Ist dieses Argument historisch belegbar?

Nein, das ist in doppelter Hinsicht falsch. Es ist eine Verteidigungsstrategie, die Filbinger und seine Anwälte aufgebaut haben. Filbinger war aktiv an Prozessen beteiligt, in denen Menschen zu Tode verurteilt wurden, und in einem Fall, bei dem die Vollstreckung belegt ist, war er auch dabei. Es ist historisch eindeutig, dass Filbinger Todesurteile ausgesprochen hat. Dies ist auch nicht mit dem Argument der eingeschränkten Handlungsfreiheit zu rechtfertigen. Als Richter hätte er darauf beharren können, dass die Angeklagten mit einer Zuchthausstrafe davonkommen. Es gibt keinen Fall, dass ein Richter spürbar gemaßregelt wurde, weil der die Strafe nicht hoch genug angesetzt habe.

Trotz der historischen Fakten hat Oettinger seinen Vorgänger am Sarg verteidigt. Wieso?

Seit den Neunzigerjahren wird versucht, Filbinger zurück in die CDU zu holen. Im konservativen Flügel wird durchaus die Meinung vertreten, dass Filbinger Opfer einer linken Hexenjagd gewesen sei. Innerhalb weiter Teile der CDU ist es unumstritten, Filbingers Arbeit zu würdigen.

Wie sollte die CDU jetzt reagieren, um Oettingers verbale Entgleisung wieder geradezurücken?

Die Forderung an die CDU wäre, nicht weiter damit fortzuschreiten, Geschichte schönzureden. Ich warne die CDU davor, die Uneinsichtigkeit Filbingers zu übernehmen. Wenn Oettinger sich weiterhin über Filbingers Tätigkeit zwischen 1943 und 1945 äußern möchte, dann soll er distanzierter auf seine Rolle eingehen und nicht mit historischen Verdrehungen argumentieren.

Bei der Trauerfeier für Hans Filbinger am Mittwoch bezeichnete der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) den Verstorbenen als einen „Gegner des Nazi-Regimes“. Filbinger war von 1966 bis 1978 Regierungschef des Bundeslands. 1978 musste er zurücktreten, als bekannt wurde, dass er im Dritten Reich als Jurist an Todesurteilen mitgewirkt hatte. Dass Oettinger ihn dennoch als Regimegegner bezeichnete, hat Empörung hervorgerufen. Die Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, sprach von einer „verletzenden Perversion der historischen Realität“.

Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“ – so rechtfertigte Hans Filbinger seine Tätigkeit als NS-Marinerichter und löste damit einen der größten politischen Skandale Deutschlands aus. Löst jetzt Oettinger mit seinen Äußerungen einen Skandal aus?

Ich glaube nicht, dass das Thema Potenzial dazu hat, einen weiteren Skandal auszulösen. Oettinger jedenfalls wird die Debatte kaum schaden.

INTERVIEW: CIGDEM AKYOL

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