Die neue Geografie der Unterhose

Zwei Jahre nach Öffnung der Textilmärkte zieht die Welthandelsorganisation Bilanz: China wird zur Kleidungssupermacht. Doch inzwischen bekommt selbst der asiatische Riese Konkurrenz – von den ärmsten Ländern in seiner Nachbarschaft

VON CHRISTINE ZEINER

In den Geschäften ist es leicht zu erkennen, nun hat es auch die Welthandelsorganisation (WTO) bestätigt: „Made in China“ steht weltweit auf immer mehr T-Shirts, Hosen und Röcken. Der Exportriese China weitet laut dem jüngsten Bericht der Welthandelsorganisation (WTO) seine Führungsposition weiter aus.

Die schlimmsten Befürchtungen der Entwicklungspolitiker haben sich jedoch nicht bewahrheitet: Als vor zwei Jahren die Textilabkommen ausliefen, die jedem Land bestimmte Quoten zuteilten, rechneten viele damit, dass besonders die ärmsten Länder unter der chinesischen Textil-Übermacht leiden würden. Doch jetzt zeigt sich, dass Exporte aus Indonesien, Vietnam, Bangladesch und Kambodscha sehr viel stärker wachsen als die aus China. Verlierer des Textil-Freihandels sind dagegen die traditionellen Produzenten für den EU-Markt: die Türkei, Rumänien, Marokko und Tunesien. „Zwei Jahre nach dem Auslaufen des Textilabkommens geht der strukturelle Wandel im Welthandel mit Textilien unvermindert weiter“, heißt es im WTO-Bericht.

Dreißig Jahre lang regelten Abkommen den Handel mit Textilien zwischen Industrie- und Billiglohnländern; 1995 beschloss die WTO, diese bis Ende 2004 auslaufen zu lassen. Als China vor sechs Jahren der Organisation beitrat, pochte es auf Gleichberechtigung für seine Exporte. In Europas Textilindustrie folgte ein Aufschrei: China-Ware werde die EU überschwemmen, neue Beschränkungen müssten her. Doch dagegen wehrten sich die großen Handelshäuser. Der Kompromiss: Chinesische Textilimporte dürfen grob gesagt jährlich nicht mehr als 12,5 Prozent zulegen. Je nach Produkt gilt ein anderer Prozentsatz. Die Folge: Chinesische Textilien steckten millionenfach in europäischen Häfen fest, weil die Importeure die Quoten überschritten.

Der Handel lehnt die Quotenvereinbarungen nach wie vor ab: Es müsse Ländern erlaubt sein, ihre Kostenvorteile im internationalen Wettbewerb auszuspielen, sagt Hubertus Pellengahr vom Hauptverband des Deutschen Einzelhandels. Es werde dort produziert, wo es am günstigsten sei – und das sei nicht immer in China der Fall. Die Zahl der Aufträge an Zulieferbetriebe in Bangladesch oder Kambodscha steige, die Quotenregelungen beschleunigen laut Pellengahr diesen Prozess bloß. Und eines sei klar: „Beschränkungen verlagern Produktionen, die vor Jahren abgewandert sind, ja nicht nach Europa zurück.“

Das sieht der Präsident des Verbandes der Nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie, Justus Schmitz, genauso. Die Forderung nach neuen Quoten sei vor allem von den spanischen und italienischen Textilindustrien ausgegangen. Die Entwicklung ließe sich jedoch nicht zurückdrehen. „Wie viele Deutsche würden heute noch Hemden zusammennähen wollen?“, fragt Schmitz.

Während sich deutsche Unternehmen auf hochwertige Textilien spezialisieren, kommt die Massenware aus Asien – wo für Frauen die Arbeit in den Fabriken ein erster Schritt in Richtung Selbstbestimmung und eigenen Lohn bedeuten kann. Allerdings wüssten viele der Näherinnen nicht über Arbeitsrechte Bescheid und hätten oft nicht den Mut, sich für Verbesserungen wie die Bezahlung von Überstunden einzusetzen, sagt Yuk Yuk Choi, Mitarbeiterin einer chinesischen Menschenrechtsorganisation, die gemeinsam mit der Kampagne für saubere Kleidung Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben publik macht. Denn Unternehmen haben einen Ruf zu verlieren, das ist ihr bewusst – und auch den Konzernen, die auf der Suche nach den kostengünstigsten Standorten sind.