gemeinde-spaltung
: Ein Stück Toleranz ginge verloren

Der Ärger ist ja verständlich: Die liberalen Teile der jüdischen Gemeinde sind in den vergangenen Jahren arg ins Hintertreffen geraten. Gleiches gilt für den Rest der muttersprachlich deutsch sprechenden Gemeinde, die von „den Russen“ einfach qua Masse ins Abseits gedrängt wurde. Dennoch wäre es ein Fehler dieser Frustrierten, nun aus der Gemeinde auszusteigen und eine neue zu gründen.

KOMMENTAR VON PHILIPP GESSLER

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen sollte das Prinzip der Einheitsgemeinde in der wichtigsten Gemeinde der Bundesrepublik nicht allzu leichtfertig aufgegeben werden. Die Einheitsgemeinde mag ein Relikt aus der Nachkriegszeit sein, als sich die wenigen Überlebenden des Holocaust nur so zu einer sinnvoll großen Zahl zusammenfinden konnten. Aber sie hat und hatte eben auch eine positive Wirkung, nämlich dass die immer noch kleine Zahl von Juden in der Stadt über ihre Vorlieben in der Gottesdienst-Gestaltung und Ähnlichem hinaus zu Toleranz gegenüber anderen Frömmigkeitsformen gezwungen wurde. Wenn jeder seinen Laden gründet, geht ein Stück Geduld und Toleranz verloren.

Zum anderen beendeten die potenziellen Neugründer eine mindestens 60-jährige, ja wenn man will, sogar über 300-jährige Tradition der grundsätzlichen Einheit des Judentums in Berlin – der Fall der Zwerggemeinde „Adass Jisroel“ ist so speziell, dass er als Gegenargument nicht sticht. Gerade traditionsbewusste deutsche Juden wie Meyer und Schoeps haben in dieser Gemeinde, die ihnen so schrecklich stinkt, eine Aufgabe: den Büttel nicht zu schnell hinzuschmeißen, sondern bei den kommenden Gemeindewahlen dafür zu kämpfen, dass ihre liberale deutsch-jüdische Tradition in der Gemeinde weitergeht. Zum Wohle der ganzen Gemeinde.