Blogger: Freiräume mit Beschränkung

Nachdem ein ägyptischer Blogger wegen harscher Systemkritik zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde, betonen seine Mitstreiter den Weg der sanften Veränderung.

Freiräume mit Beschränkung
Nachdem ein ägyptischer Blogger wegen harscher Systemkritik zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde, betonen seine Mitstreiter den Weg der sanften Veränderung

AUS KAIRO HANNES KOCH

Gleich ist es so weit, der Ohrenschmerz muss einsetzen. Der blecherne Musikkrach tötet nicht nur das Wort, auch von dem sagenhaften Kairoer Verkehrslärm ist nichts mehr zu hören. Jetzt stößt das Schiffchen von der Uferpromenade ab und gleitet hinaus auf den grünlich schimmernden Nil. Die jugendlichen Gäste tanzen schon. Die Adoleszenten berauschen sich an brunftigen Hüftschwüngen, die Girlies swingen beckenbetont. Das passt zum Karneval von Havanna, aber nicht zur muslimisch-moralischen Kleiderordnung.

Kopftuch und Hüftschwung

Ein Sonntagnachmittag im Frühling der ägyptischen Hauptstadt. Die Stadt mit ihren 17 Millionen Einwohnern dampft, das Thermometer geht auf 30 Grad. Aber die Kopftücher bleiben drauf. Auch Dalia Ziada hat sich obenrum fest eingewickelt. Die 25-Jährige ist eine der bekanntesten Bloggerinnen des Landes. Seit 2006 betreibt sie ihre eigene Seite im Internet. Sie kommentiert den Religionswahn der Regierung, lobt ihre Mutter, beschreibt den Alltag. Gemessen am Inhalt der Artikel und ihren Wünschen müsste Ziada gekleidet sein wie eine Kubanerin.

Aber weit gefehlt. "Wenn ich das Kopftuch ablege, breche ich mit meiner Familie", sagt sie. Seit dem Tod ihres Ehemannes wird Ziadas Mutter, eine Schuldirektorin, immer konservativer. Ein Jahr hat Dalia, die für eine US-Menschenrechtsorganisation arbeitet, mit ihrer Mama darüber gestritten, ob sie zu einem Kongress nach Jordanien fahren darf. "Wenn unverheiratete Frauen alleine reisen, droht ihrer Jungfräulichkeit Gefahr." Das ist das Argument der Familie. "Was bin ich - ein Sexualobjekt oder ein Mensch?", fragt Ziada.

Dalia Ziada, die Frau mit dem weißen, blaugeblümten Kopftuch und der weiten Jeans ist 25 Jahre alt. Sie hat Erfolg, sie verdient eigentlich genug Geld, um sich eine eigene Wohnung zu mieten. Warum zieht sie nicht aus? "Die ganze Zeit in Jordanien war ich krank vor Heimweh. Ich kann ohne meine Familie nicht leben, ich liebe sie so sehr." Ziada ist gläubige Muslimin. Aber ihr Wahlspruch stammt aus einer Kairoer Bar mit W-LAN und Elvis-Postern. "Be Yourself" steht dort als Graffito an der Wand.

Darum geht es beim Bloggen. Ausdrücken, was unmöglich erscheint, was man aber trotzdem will. Oder zumindest erwägt. Was man wenigstens sagen muss. Um nicht daran zu ersticken. "Schon wenn ich über diese Dinge spreche, bin ich erleichtert", sagt Ziada.

Bei vielen jungen Ägyptern staut sich nicht nur die Libido. Auch für ihre Gedanken gab es bisher keinen Weg in die Öffentlichkeit. Doch dann kamen die Blogs. Jetzt sind sie ein Teil der Alltagskultur. Ein Ventil. Viele Ventile.

Auf 2.000 bis 5.000 wird die Zahl der ägyptischen Privatjournalisten im Internet geschätzt. Das ist eine ganze Menge - denn nur 5 von knapp 70 Millionen Ägyptern nutzen das Internet. Die Regierung fördert die Informationstechnologien. Sie hat darin einen Wirtschaftsfaktor erkannt. Einerseits. Andererseits gilt seit der Ermordung des Präsidenten Anwar as-Sadat 1981 der Ausnahmezustand. Neuerdings durchsucht eine eigene Internetpolizei das Web, Internetseiten werden willkürlich gesperrt. Ein Dutzend Blogger ist aus unterschiedlichen Gründen schon einmal kurz verhaftet worden. Und im vergangenen Februar wurde der Student Kareem Amer aus Alexandria zu vier Jahren Gefängnis verurteilt (taz berichtete). In seinem Internet-Blog hatte er gewagt, die oberste religiös-politische Instanz des Landes, die Kairoer Al-Azhar-Universität, und die Terrororganisation al-Qaida als "zwei Gesichter" desselben Islamismus zu bezeichnen. Den ägyptischen Staatspräsidenten Husni Mubarak nannte Amer einen "Diktator".

Dabei war der Regimekritiker von vielen Freunden gewarnt worden. Auch die Bloggerin Cynthia Farahat hatte ihm geraten, die Texte aus dem Netz zu nehmen. Viele seiner Internet-Freunde bezeichnen Amers Veröffentlichungen als "Hass-Artikel", denen es an der notwendigen Vorsicht und Klugheit fehle. Doch die harte Reaktion des Staates, sagt Farahat, habe die Szene schockiert. Sie will keinesfalls verhaftet, misshandelt und gefoltert werden. Deshalb versucht sie, auf ihrer Seite "Liberalegyptians" die Grenzen der staatlichen Duldsamkeit penibel einzuhalten. Intellektuelle Kritik ja, aber keine Beleidigungen von Geistlichen und Politikern.

Darum geht es Cynthia Farahat auch nicht. "Mein Thema ist der Mensch", sagt die Bloggerin mit der rechteckigen Brille. Farahat steht unter Druck, wippt mit dem Fuß, raucht eine Marlboro nach der anderen. Die koptische Christin verzichtet auf das Kopftuch und hüllt sich nicht in Säcke. "Fahr zur Hölle", empfehlen ihr manche Nachbarn, wenn einer von Farahats Kunden deren Wohnung verlässt. Was die Leute hinaustragen, ist laut offizieller Lesart im Islam verpönt. Cynthia ist Künstlerin. Ihre Skulpturen aus Bronze bilden den Menschen ab, meist nackt.

Gläubig, aber nicht blind

"Das Private ist politisch", erklärte die Frauenbewegung in Mitteleuropa seit den 1970er-Jahren. In die ägyptischen Verhältnisse des 21. Jahrhunderts übersetzt, hieße das: Die Blogger tragen das Private in die Öffentlichkeit, um mittels der entstehenden Debatte ihren Freiraum im Alltag zu erweitern. Ziada, Farahat und viele andere Blogger streiten gemeinsam für die Vision einer säkularen Gesellschaft. Während die islamischen Theologen mit ihrer Rechts- und Lebensordnung, der Scharia, den Anspruch erheben, alle Bereiche des Lebens zu regeln, plädiert eine gut ausgebildete Schicht junger Erwachsener für die Trennung von Kirche und Staat. Ziada, obschon gläubige Muslimin, will von der allgegenwärtigen, autoritär verordneten Zwangsmoral verschont bleiben: "Gott liebt uns auch dann, wenn wir kein Kopftuch tragen", sagt sie.

Die säkularen Blogger repräsentieren jedoch keineswegs die gesamte Szene. Auch die Muslimbruderschaft hat das Netz entdeckt und setzt mit seiner Hilfe den Staat von konservativ-islamischer Seite unter Druck. Wer wohlwollend ist, mag freilich auch dort Zeichen einer neuen Liberalität erkennen. Das sieht beispielsweise Ahmad Seif so. Der bekannte ägyptische Menschenrechtsanwalt vertritt den verurteilten Kareem Amer. Die Debatte in den Blogs laufe ohne Ansehen des Geschlechts, so Seif. Frauen diskutierten gleichberechtigt mit Männern. "Das ist der einzige Platz in Ägypten, wo dieses Prinzip gilt", sagt Seif.

Das Büro des Anwalts liegt im Zentrum Kairos, unweit des Taufiq-Platzes. Bis spät in die Nacht sind hier die gleißend hell beleuchteten Geschäfte geöffnet, die Wasserpfeifen vor den Kaffeehäusern gurgeln, auf den Bürgersteigen wird geschoben und gedrängelt, altersschwache Fiat-Taxis ohne Licht fahren den Fußgängern laut hupend fast über die Füße, und manche Frau zeigt sich mit offenem Haar.

Nur die Blogger berichten

So war es wohl auch zum Eidul-Fest im Oktober 2006. Einige Männer allerdings wollten sich damals einen besonderen Spaß machen. Gruppenweise belästigten sie Frauen, pöbelten sie an und rissen manchen die Kleidung herunter. Die zahlreich anwesende Polizei schaute stundenlang in die Luft. Bekannt wurden die Übergriffe erst, als Blogger Handy-Fotos der Belästigungen auf ihren Seiten veröffentlichten. So kamen auch die offiziellen Medien nicht umhin, sich die Themas anzunehmen, und schließlich fand auf der Straße eine der ganz seltenen öffentlichen Kundgebungen von Frauen für Frauenrechte statt. Ahmad Seif nimmt das als Beleg dafür, dass "die Blogger den Raum der Freiheit ausdehnen".

Deshalb "hat der Staat Angst", vermutet Ziada. Die Verurteilung von Kareem Amer sei mit dieser Nervosität der Regierung zu erklären. Wie Cynthia Farahat weiß auch Dalia Ziada, dass sie vorsichtig sein muss. Über ihrem Blog steht das Motto: "Ich liebte Cäsar nicht weniger, sondern ich liebte Rom mehr." Diesen Satz hat Shakespeare seinen Brutus im Drama "Julius Cäsar" sagen lassen. Die Interpretation der Anspielung bleibt jedem Besucher der Internetseite selbst überlassen. Den Frontalangriff auf die Institutionen hat Ziada vermieden.

Viele Blogger wollen ein anderes Ägypten. Sie sehen sich als Unterströmung, die die Gesellschaft langsam verändern könnte. Diese Möglichkeit wollen sie sich nicht nehmen lassen. Nicht von Heißspornen wie Kareem Amer. Aber auch nicht vom Zensor. Der Verfasser der Seite "Sandmonkey", der seinen Namen nicht preisgeben möchte, sagt es so: "Wir müssen Kareem verteidigen, sonst sind wir die nächsten".

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