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: Wünsch dir was

Geld wird zum Markenprodukt: Kredite nimmt man nicht mehr auf – sondern darf sie flott als Schnäppchen ershoppen

In Fußgängerzonen und in der Nähe von Shoppingmalls eröffnet seit ein paar Monaten ein neuer Typ von Laden. Darin kann man nur ein einziges Produkt kaufen: einen Kredit. Das Überraschende an diesen Läden ist aber, dass die Kredite wie Markenartikel angeboten werden. „Seriös wie eine Bank und unkompliziert wie ein Shop“ heißt es bei „credit4me“, einer Kette, die bis 2008 immerhin schon mit 135 Läden in Deutschland vertreten sein will. Gleich hinter dem Eingang erwarten den Besucher geheimnisvoll schimmernde Plastikbeutel, die als Inhalt „Endlich das neue Auto“, „Endlich die Traumhochzeit“ oder „Endlich die Abenteuerreise“ verheißen: Was bisher nur fiktiv, als inneres Bild existierte, hängt nun also zum Greifen nah, ist „endlich“ real geworden.

Tatsächlich enthalten die Beutel jeweils ein zum Versprechen passendes Gadget, so etwa eine Augenmaske im Beutel „Endlich das perfekte Aussehen“. In allen Beuteln liegt ferner eine Broschüre, deren Sprache die Wünsche der Interessenten wachmassiert, um sie unaufschiebbar erscheinen zu lassen; außerdem soll man natürlich über den Weg zum neuen Geld informiert werden. Aber der sei so einfach und lässig, dass man sich nicht lange damit zu beschäftigen brauche. Vielmehr gilt der auf allen Beuteln aufgedruckte und auch sonst offensiv verbreitete Slogan: „Das Leben ist heute.“

Das Geschäftsmodell läuft darauf hinaus, die Hemmschwelle des Sich-Verschuldens erheblich zu senken. Ein anderer Anbieter, ebenfalls gerne in Einkaufszonen angesiedelt, heißt entsprechend „easyCredit“. Es soll also geradezu als schick erscheinen, einen Kredit flott zu ershoppen – und nicht mehr, wie früher, aufzunehmen und damit auf sich zu laden. Das schlechte Gewissen, nicht genügend Geld zu besitzen, darf gegen das Vergnügen eingetauscht werden, etwas Nettes gekauft zu haben. Letztes Jahr ging die Citibank bereits so weit, das Schuldenmachen zum Wellness-Ereignis umzudeuten, als sie nämlich „extra für Frauen“ einen „Kredit zum Wohlfühlen“ auf den Markt brachte, „unkompliziert und schnell zum Mitnehmen“.

Dass es sich bei den so offerierten Krediten immer auch noch um Schnäppchen handelt, versteht sich von selbst, wird doch mit günstigen Zinssätzen und flexiblen Rückzahlungsmodalitäten geworben. Genau genommen ist das Vergnügen daher ein doppeltes. Darf man sich zuerst darüber freuen, so entspannt an Geld gekommen zu sein, kann man sich gleich nebenan, in einem Reisebüro, Schmuckgeschäft oder Kaufhaus, seinen lang gehegten – oder ganz spontanen – Wunsch erfüllen.

Wird der Kredit zum Markenprodukt, dann passiert aber in gewisser Weise das Gegenteil dessen, was sonst in der Welt der Marken zu beobachten ist. Bekanntlich geht es dort schon seit einiger Zeit darum, den Gebrauchswert des jeweiligen Dings hinter sehr allgemeinen Verheißungen zurücktreten zu lassen, die dem Konsumenten ein Surplus an Freiheit, die Teilhabe an Werten und Idealen, eine Vermehrung seiner Optionen – kurzum: ein Upgrade der eigenen Existenz in Aussicht stellen. Der Turnschuh, die Sonnenbrille oder das Duschgel werden in eine Atmosphäre aus Möglichkeiten gehüllt; die Dinge haben sich in ziemlich allgemeine, wenig determinierende und damit auch verwechselbare Projektionsflächen für allerlei Wünsche und Sehnsüchte verwandelt.

Entgegengesetzt dazu wird bei den Marken-Krediten gerade nicht mehr – wie auf einer Bank – Geld verkauft, das bekanntlich die vollendete Projektionsfläche, ja der Inbegriff des Optionalen ist. Vielmehr wird jeweils ein bestimmter Wunsch in Szene gesetzt. Man suggeriert dem Kreditnehmer, dass er eine ganz spezielle Sehnsucht, proper in einen Beutel verpackt, im Laden aussuchen und an der Kasse erfüllen kann. Das als pure Möglichkeit ziemlich unsinnliche, abstrakte und daher erst recht verwechselbare Geld wird somit in eine konkrete Gestalt rückübersetzt, um das Begehren zu steigern.

Doch wäre man wohl gar nicht auf die Idee gekommen, einen Kredit – und damit Geld – zum Markenprodukt zu machen, wenn nicht umgekehrt die Markenprodukte in ihrer Projektionsflächenexistenz geldähnlich geworden wären. Nur weil es schon Gewohnheit ist, mit einem Ding vor allem Optionen zu kaufen, lassen sich auch Optionen verdinglichen und sozusagen von der Stange nehmen. Von zwei entgegengesetzten Seiten kommend, haben sich Geld und Dinge inzwischen also in einer indifferenten Mitte getroffen. Hier haben sich die alten Aggregatszustände aufgelöst und alles schwebt zwischen Realis und Potenzialis. WOLFGANG ULLRICH