Vier Schnitte aus Angst

Gegen die unheilige Allianz von lokalen Zensurbehörden und Weltvertrieben des Kinos: Im Internet kursiert eine Protestnote für den Regisseur Apichatpong Weerasethakul

Apichatpong Weerasethakuls neuer Film, „Sang Sattawat“ („Syndromes and a Century“), sollte an diesem Donnerstag in den thailändischen Kinos anlaufen. Der Film, eine internationale Koproduktion, ist eine sehr schöne, sehr ruhige, oft heitere und manchmal sehr traurige Meditation über die Liebe, die Krankheit und die Muße; seine Weltpremiere erlebte „Sang Sattawat“ im September beim Filmfestival in Venedig, im November wurde er beim Wiener New-Crowned-Hope-Festival gezeigt. Doch in Thailand missfiel er der Zensurbehörde (siehe taz vom 13. April). Die verlangte vier Kürzungen, der Regisseur zog daraufhin den Film zurück.

Zur Begründung schrieb er: „Als Filmemacher behandele ich meine Arbeiten wie meine eigenen Kinder. Nachdem ich sie ersonnen habe, führen sie ihr eigenes Leben. Es kümmert mich nicht so sehr, ob Menschen sie mögen oder verachten, solange ich sie in bester Absicht und nach bestem Vermögen geschaffen habe. Wenn diese meine Nachkommen – aus welchen Gründen auch immer – in ihrem eigenen Land nicht leben können, dann lasst sie frei. Da es Orte gibt, an denen sie herzlich aufgenommen werden, so wie sie sind, gibt es keinen Grund, sie aus Angst vor dem System oder aus Gier zu verstümmeln.“

Die Zensurbehörde weigert sich derweil, die Sichtungskopie zurückzugeben. Erst wenn die vier Schnitte ausgeführt seien, so ließ sie verlauten, erhalte der Regisseur die Kopie zurück. Es handelt sich unter anderem um eine Szene, in der zwei Mönche mit einem ferngesteuerten Flugobjekt spielen, und um eine andere, in der ein junger Arzt seine Freundin küsst; nach dem Kuss schaut die Kamera neugierig auf die Hose des Arztes, unter der sich eine Erektion abzeichnet.

Das Verhalten der Zensurbehörde hat scharfe Proteste ausgelöst; im Internet zirkuliert eine Protestnote, die bisher knapp 1.800 Unterzeichner gefunden hat (www.petitiononline.com/nocut/petition.html). Darin wird die Zensurpolitik – sie geht zurück auf ein Gesetz aus dem Jahre 1930 – als undemokratisch und veraltet angegriffen. Da in Thailand zur Zeit eine neue Verfassung erarbeitet wird, fordern die Unterzeichner die Gesetzgebende Versammlung dazu auf, dass Zensurgesetz zu ändern. Die Praxis, Filme zu verbieten oder zu kürzen, müsse abgeschafft werden. Stattdessen solle es ein Altersfreigabe-System geben.

Dass „Sang Sattawat“ in Thailand nicht zu sehen sein wird, ist umso trauriger, als es die Tendenz bekräftigt, dass herausragende Arbeiten des Weltkinos wie Flugobjekte über dem alltäglichen Kinogeschehen schweben – dies nicht, weil die Regisseure es so wollten, sondern weil lokale Zensurbehörden und Weltvertriebe wie Fortissimo oder Wild Bunch eine unselige Allianz eingehen. Während jene das Zeigen eines Filmes in dessen Herkunftsland aus politisch-moralischen Gründen erschweren, verlangen diese in der Regel viel zu hohe Preise von Verleihern. Das Ergebnis – ein schöner Film existiert, wird aber nur im Rahmen ausgesuchter Kulturevents präsentiert und später vielleicht als DVD verkauft – ist eine künstliche Verknappung. Nicht nur „Sang Sattawat“ hat Besseres verdient. CRISTINA NORD