Filbinger fliegt aus der Kirche

Erzbischof Sterzinsky sagt den Gedenkgottesdienst für Hans Filbinger nach heftiger Kritik ab. Die Sankt-Hedwigs-Gemeinde wollte ihn darin als Retter eines zum Tode Verurteilten würdigen. Landespolitiker begrüßen die Absage

Die Pressemitteilung war kurz. In dürren Worten verkündete Erzbischof Kardinal Georg Sterzinsky gestern: Der für heute Nachmittag geplante Gedenkgottesdienst für Hans Filbinger in der Sankt-Hedwigs-Kathedrale ist abgesagt, der Kardinal habe die Gemeinde dazu angewiesen. Sterzinsky wolle damit „verhindern, dass der Gottesdienst missbraucht und missverstanden wird“, erklärte ein Sprecher des Erzbistums.

Damit reagiert Berlins katholische Kirche auf die heftige Diskussion über den einstigen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger, der am 1. April im Alter von 93 Jahren gestorben ist. In der Trauerrede auf seinen Amtsvorgänger hatte Günther Oettinger (CDU) am vergangenen Mittwoch behauptet, Filbinger sei „kein Nationalsozialist“ gewesen, sondern ein „Gegner des NS-Regimes“. Von 1943 bis 1945 hatte Filbinger im deutsch besetzten Norwegen als Wehrmachtsjurist gedient. In dieser Zeit war er als Ankläger und Richter an Todesurteilen gegen Deserteure beteiligt gewesen und hatte selbst Todesurteile gefällt.

In der Sankt-Hedwigs-Kathedrale sollte Filbingers Einsatzes für den Berliner Priester Karl-Heinz Möbius gedacht werden. Das Vorhaben geht auf die Initiative des Ex-Prälaten Wolfgang Knauft und der Domgemeinde zurück. Mobius war laut Knauft 1944 wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt worden. Dieses Urteil sei „dank Filbingers Intervention“ aufgehoben worden.

Die Grünen-Fraktionschefin Franziska Eichstädt-Bohlig begrüßt die Absage des Gedenkgottesdienstes als „richtige und wichtige Entscheidung“. Auch wenn Filbinger den Militärpfarrer Karl-Heinz Möbius 1944 tatsächlich vor einer Hinrichtung wegen „Wehrkraftzersetzung“ bewahrt habe, „kann niemand revidieren, was Ende der 70er-Jahre über Filbingers Arbeit als NS-Marinerichter ans Licht gekommen“ sei. „Nichts ändert etwas daran, dass er ein Nazi-Unterstützer war.“

Auch der SPD-Landes- und -Fraktionschef Michael Müller bezeichnete die Gottesdienstabsage als eine „weise Entscheidung des Kardinals“, die aufgekommene Missverständnisse und Irritationen aus der Welt schaffe. Linkspartei-Fraktionschefin Carola Bluhm betonte, auch die katholische Kirche sei es den Opfern der NS-Diktatur schuldig, hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.

Aus Sicht von FDP-Landeschef Markus Löning wäre die Andacht ein „moralisches Desaster“ gewesen. Filbinger stehe für die „uneinsichtigen Mitläufer und Mittäter des NS-Regimes, die weder zu persönlicher noch zu gesellschaftlicher Reflexion des Nazi-Unrechts bereit waren“. Dagegen sagte CDU-Generalsekretär Frank Henkel, die Absage sei eine Entscheidung der katholischen Kirche, die er nicht zu kommentieren habe. Er bleibe bei seiner Haltung, wonach es sich bei Filbinger um eine „sehr differenziert zu betrachtende Persönlichkeit“ gehandelt habe. Jeder, der sich zu ihm äußere, sei gut beraten, „alle Facetten seines politischen Wirkens zu berücksichtigen“. MATTHIAS LOHRE

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