Vorzeigeprojekt unter Beschuss

Nach zweiwöchiger Kritik an der Architektur der Hafencity haben die Entwickler des Projekts gestern dagegen gehalten. Unter Architekten und Planern grassiert die Angst vor niveaulosen Debatten

Alt-Bundeskanzler Helmut Schimdt und Alt-Bürgermeister Henning Vorscherau zeigen ganz deutlich: Die Architektur der Hafencity trifft offenbar eher den Geschmack jüngerer Menschen. Das hat schon Anfang Februar eine Emnid-Umfrage im Auftrag der Zeitung Die Welt gezeigt. 76 Prozent der 18- bis 29-Jährigen hielten demnach die Bauten für gelungen. Von den über 60-Jährigen, fanden nur 54 Prozent die Architekur ansprechend. Doch die Älteren konnten den Durchschnitt trotzdem nicht drücken: 63 Prozent der 1.000 befragten HamburgerInnen mögen die bislang entstandenen Gebäude auf dem Areal. PHI

VON GERNOT KNÖDLER

Das Wort von Ex-Politikern scheint in der bürgerstolzen Hansestadt Hamburg unmäßig viel Gewicht zu haben. Es war das Verdikt von Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt gegen den geplanten Glasdiamanten, der der Domplatz.Bebauung den Todesstoß versetzte. Jetzt hat Ex-Bürgermeister Henning Voscherau die Architektur der Hafencity bemäkelt und damit einer kritischen Artikelserie des Abendblatts einen vorläufigen Höhepunkt beschert. Die Fachöffentlichkeit ist alarmiert. „Es ist Gefahr im Verzug“, warnte Ulrich Schwarz, der Geschäftsführer der Architektenkammer am Montag auf einer Veranstaltung, bei der das Scheitern der Domplatz-Bebauung erörtert wurde. Am gestrigen Freitag ließ die Hafencity GmbH zwei Dutzend Bauherren, Architekten und Bewohner aufmarschieren, um die Hafencity zu verteidigen.

Der Hauptvorwurf der Hafencity-Kritiker lautete in den vergangenen Wochen, die Bauten des neuen Stadtteils seien zu kalt. Es herrsche ein Einerlei würfelförmiger Flachdach-Bauten, das zum Wohnen und Leben ungeeignet sei. Manche Hamburger ließen sich mit dem Wunsch zitieren, die Bauten sollten wie die Speicherstadt mit Schmuckfassaden versehen werden. Zuweilen widersprachen sich die Kritiker auch: Während die einen monierten, die bisher errichteten Häuser seien zu unterschiedlich und hätten statt als Solitäre im Verbund errichtet werden sollen, kritisierten andere die „megalithische Einheitlichkeit“ der Bauten. Die verspielten Magellanterassen dagegen, ein abgestufter Platz am Kopfende des Sandtorhafens, erschienen einem professionellen Kritiker wiederum als „Atmosphärentöter“.

Es erscheint lohnend, sich kurz zu vergegenwärtigen, was die Hafencity werden soll: Geplant ist eine Erweiterung der Innenstadt mit Büros für bis zu 50.000 und Wohnungen für mehr als 12.000 Menschen. Das Wohnen, Leben, Arbeiten und Ausgehen soll auf engstem Raum verflochten und damit eine lebendige Atmosphäre wie in einem gewachsenen Stadtteil erzeugt werden. Der neue Stadtteil gruppiert sich um vier Hafenbecken. Das Land ist erhöht worden, um die Häuser vor den Sturmfluten zu schützen. Über 20 bis 30 Jahre hinweg sollen nach und nach Quartiere mit jeweils eigenem Charakter gebaut werden. Das soll es ermöglichen, auf Veränderungen des Zeitgeist und der Wirtschaft zu reagieren.

Um Lebendigkeit zu erzeugen, sind die Grundstücke am Sandtor- und am Dalmannkai an viele unterschiedliche Bauherren vergeben worden, statt an einen Projektentwickler. Viele Häuser dort sind entweder fertig gebaut oder sie stehen im Rohbau. Am Sandtorkai sieht jedes Haus anders aus. Manchen ist das Bemühen um eine interessante Fassadengestaltung anzusehen. Jeder mag entscheiden, ob ihm die Wirkung dieser Vielfalt besser gefällt oder die westlich anschließende, fälschlicherweise unter dem Rubrum „Kehrwiederspitze“ verbuchten Bebauung aus einem Guß (Foto). Die Fassaden der Häuser am Dalmannkai sind weniger spektakulär. Dafür sind die Häuser um kleine Höfe und Plätze gruppiert. Treppen führen hinunter zur Promenade am Kai. Im Vergleich zu einem ähnlichen Projekt wie in Rotterdamm wirkt die Bebauung wegen ihrer Höhe städtisch und wegen ihrer Unterschiedlichkeit lebendig.

Erst wenn hier Bäume stünden, die Läden geöffnet seien und viele Menschen wohnten, könne beurteilt werden, ob das Viertel funktioniere, findet Jürgen Bruns-Berentelg, der Geschäftsführer der Hafencity GmbH. „Das Problem ist, wir befinden uns auf einer Baustelle“, sagte der Architekt Rudolf Buschhoff. Ihm komme das vor wie der Rohbauschock den viele Bauherren erlebten.

Oberbaudirektor Jörn Walter verwies auf die verschiedenen Grundströmungen in der aktuellen Architektur. „Meine Vorstellung war nie, das wir eine preußisch-rückwärtsgewandte, obrigkeitsstaatliche Architektur bauen“, sagte Walter mit Blick auf die vielen historisierenden Neubauten in Berlin. Ähnliche finden sich in der Borselstraße in Ottensen. Walter plädierte für „hanseatische Noblesse“, eine Kombination höchster Qualität mit sozialer Brauchbarkeit und ökologischer Nachhaltigkeit.