jazzkolumne
: Die Avantgarde traf es als Erstes, jetzt ist auch der Mainstream dran

Es ist schwierig geworden für Jazz in New York: Nun fordern Musiker einen subventionierten Club nach europäischem Vorbild

Als der New Yorker Club Tonic am 13. April schloss, war die Aufregung groß. Hohe Immobilienpreise drängte die New Yorker Musikszene einst aus der 52. Straße, später aus dem West Village, und in jüngster Zeit schlossen diverse Musikclubs in der Lower East Side – zuletzt das Tonic, ein Club, der 180 Besuchern Platz bot. Tatsächlich sind auch die meisten der Musiker, die sich vor 20 oder 30 Jahren billige Apartments in der Lower East Side mieteten, längst umgezogen. Die neuen Clubs haben dort geöffnet, wo sie jetzt leben. Im noch preiswerten Brooklyn macht etwa das Barbès von sich reden – ein Tonic-Ersatz ist es allerdings nicht. Der Tom-Waits-Gitarrist Marc Ribot spricht von Marktversagen: Auf dem Spiel stehe die Präsentation neuer Musik in New York. Und damit ist vor allem Manhattan gemeint. Mit der Künstlerinitiative „Take it to the Bridge“ hat Ribot jetzt den Kampf aufgenommen: Nach europäischem Vorbild soll die Stadt New York einen Musikclub für die unabhängige Jazz- und Improvisationsszene subventionieren, so die Forderung. Am Tag nach der Tonic-Schließung wurden Ribot und die Sängerin Rebecca Moore nach einer spontanen Konzertaktion für fünf Stunden verhaftet, vor einer Woche demonstrierten 40 Musiker vor der City Hall.

Tatsächlich hat sich die Gesamtlage für Jazz in der amerikanischen Musikmetropole in den letzten Jahren stark verschlechtert. Der 81-jährige Festivalproduzent George Wein, der 1954 das Newport Jazz Festival erfand und gerade das Programm des diesjährigen JVC Jazzfestivals in New York vorstellte, sagt, dass es heute neben Keith Jarrett und Herbie Hancock nur noch wenige Jazzmusiker gibt, die genügend Publikum ansprechen, um in der Carnegie Hall auftreten zu können. Der Saxofonist Sonny Rollins berichtet, dass längst nicht nur die Avantgarde-Szene über eine gravierende Veränderung des kulturellen Klimas klagt. Man müsse jedoch auch berücksichtigen, dass diese Musik für den durchschnittlichen Musikkonsumenten hartes Zeug sei, sagt Rollins. Selbst bei Ornette Coleman, der gerade mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde, sei das nicht anders: Er werde von den Kritikern dafür gelobt, dass er den Jazz verändert hat, doch sein Publikum sei überschaubar geblieben. Jazz erlebe gerade eine schwierige Phase, und da sich alles um den Profit drehe, stünden Künstlern, die von dieser Norm abweichen, harte Zeiten bevor, befürchtet Rollins.

Der New Yorker Pianist Vijay Iyer versucht dem mit Anträgen für Kompositionsstipendien und anderen Stiftungsgeldern zuvorzukommen. Das Neue werde nicht unterstützt und bleibe unsichtbar, weil es keine großen Plattenfirmen im Rücken hat, glaubt Iyer. Und die amerikanische Mentalität ist schuld: Warum soll man etwas gut finden, unterstützen gar, was kein Geld bringt?

Iyer fordert, dass experimentelle Jazzmusiker genauso unterstützt werden sollen wie Sinfonieorchester. Hingegen treten seine Kollegen bei den subventionierten europäischen Festivals auf, doch zu Hause würden alle versuchen, an den einen Gig in der 55 Bar zu kommen, eine von zehn Minilocations in den gesamten USA, wo sie auftreten könnten, und keine von ihnen bringe Geld.

Der schwedische Saxofonist Mats Gustafsson, der seit Jahren zwischen Chicago und Stockholm pendelt, warnt vor zu großen Erwartungen. Die Subventionierung der Künstler sei in Skandinavien und Holland heute ganz okay, Deutschland war einmal. Doch er bemühe sich, weitgehend unabhängig von staatlicher Unterstützung zu operieren. Er kenne viele Bands, die in diese Abhängigkeit geraten seien, deren Namen niemand kennen würde, wenn es keine Subventionen gäbe.

Der afroamerikanische Saxofonist Joe McPhee wohnt im Staat New York und kann sich nicht vorstellen, wie es ist, in einem Land zu leben, wo Jazzmusiker ganz selbstverständlich vom Staat unterstützt werden. In den USA sei das ganz anders, deshalb heiße seine Band Survival Unit – das ist es, was er versucht. Momentan komme erschwerend hinzu, dass die ökonomischen Bedingungen und deren Konsequenzen in den USA nicht mehr zu ertragen seien, der Rassismus sei ein Symptom dafür, nicht der Grund. Er habe 18 Jahre lang in einer Fabrik gearbeitet, um seine Musik zu finanzieren, um reisen zu können.

Zusammen mit seiner Frau Patricia Nicholson Parker, die sich maßgeblich gegen die Tonic-Schließung engagiert hat, leitet der Bassist William Parker das New Yorker Vision-Festival. Dieses einzige Festival für improvisierte afroamerikanische Musik wird auch diesen Juni wieder in der Lower East Side, nur einige Hausnummern vom einstigen Tonic entfernt, stattfinden. Es gehe nicht um den nächsten Gig in Europa, sagt Parker, junge Musiker sollten dort, wo sie leben, ein Publikum entwickeln. Eigene Festivals veranstalten, alle möglichen Events. Er könne für die jungen Musiker nichts tun – wenn man sie nicht engagieren will, müssen sie es selbst tun. Das sei die Geschichte des Vision-Festivals, das bedeute Selbstbestimmung. Die Zukunft durch das bestimmen, was man jetzt angeht. Immer wieder neue Auftrittsorte organisieren, in den Schulen und Nachbarschaftszentren auftreten, harte Arbeit 24 Stunden jeden Tag. CHRISTIAN BROECKING