Stimmen der Liebe

Schriften zu Zeitschriften: Der „Playboy“ weiß, was ein Cicisbèo ist, und auch, was Anna Nicole Smith gerettet hätte. „Opernwelt“ sorgt sich um die Verständlichkeit des Gesangs

„Auf einer Vernissage habe ich eine Frau kennen gelernt. Sie ist verheiratet, aber wir schreiben uns leidenschaftliche E-Mails. Als sie mich fragte, ob ich ihr Cicisbèo sein möchte, war ich ratlos. Was ist das?“

Gebildete Männer werden trotz der Alltäglichkeit dieser Konstellation leuchtende Augen bekommen und mit ihnen voller Neid auf N.S. aus Düren schauen, der sich mit diesem Problem hilfesuchend an die Zeitschrift Playboy wandte. Denn der Mailverkehr mit einer begrifflich derart versierten Frau dürfte tatsächlich verbalerotische Höhepunkte bescheren. Andere fantasieanregende Fragen, beispielsweise hinsichtlich des proseccoprickelnden Vernissagesettings, verblassen dahinter allemal: Düren??? Wie sieht sie aus, die Kunstszene in Düren? Was bevorzugt der Dürener, jetzt mal rein kunsttechnisch betrachtet? Und ästhetisch: kleines Schwarzes und weißes Hemd mit offenem Kragen?

Wie auch immer: N.S. aus Düren wurde jedenfalls im Mai-Playboy in dessen Leserfragen-Rubrik „Berater“ geholfen: Ein Cicisbèo beglückte an italienischen Adelshöfen des 17. und 18. Jahrhunderts die Dame des Hauses in Abwesenheit des Gatten. Durch solche Kenntnisse erweist sich der Playboy als Hort abendländischer Kultur, zu deren Wesensmerkmal ja nicht zuletzt die fröhliche Dekadenz gehört. Die Quintessenz klingt dennoch etwas barbarisch: „Was Ihre Bekannte Ihnen anbietet, ist unverbindlicher Sex.“ Vielleicht testen Sie selbst Ihre Mitmenschen mal mit der Cicisbèo-Frage.

Ein paar Seiten weiter treibt den nach Daniel Kehlmann sicher am häufigsten interviewten Schriftsteller des deutschen Sprachraums, Maxim Biller, die emotionale Geworfenheit unseres Seins um: „Wenn wir mal überlegen, in wen wir alles schon verliebt waren und dachten: Das ist der Mann oder die Frau meines Lebens. Wie oft haben wir uns später, nachdem Schluss war, gefragt: Wer war das eigentlich?“ Seufz, wie wahr. Wie sehr würde uns ein Roman des Liebesexperten Biller über die gefährlichen Liebschaften eines venezianischen Cicisbèo im 18. Jahrhundert erfreuen!

Der Schauspieler John Travolta hat sich hingegen seine letzten Fragen selbst beantwortet: „Ich glaube, dass Scientology viele Methoden bietet, das Leben angenehmer zu machen.“ Diese Methoden hätten auch ein Ex-Playmate vor dem Tod bewahren können, weiß Travolta: „Anna Nicole Smith etwa hätte nicht sterben müssen, wenn sie sich uns anvertraut hätte.“

Auf der verzweifelten Suche nach einer passenden Überleitung stoßen wir im Aprilheft auf Startenor Rolando Villazón, mit dem diese Kolumne die Kurve von der heiteren zur ernsten Muse vielleicht meistert. Im Playboy-Fragebogen „kann denn liebe sünde sein …“ beantwortet der Sänger den Punkt „Ihre Lieblingsmusik zur Liebe?“ mit – nein, nicht mit Portishead, sondern, zugegebenermaßen kaum vorstellbar, noch erotischer: „Ihre Stimme“.

Um den sprachlichen Ausdruck von Liebesgesängen ist es allerdings zumindest auf Opernbühnen gegenwärtig schlecht bestellt, wie jeder weiß, der schon einmal vergeblich versucht hat, in einer Aufführung den gesungenen Text zu verstehen. Jürgen Kesting, der Kritikerpapst für alle Belange des klassischen Gesangs, erläutert in einem lehrreichen Essay in der Zeitschrift Opernwelt die Gründe für dieses Drama.

Multinationale Starbesetzung ist heute an den Opernhäusern das entscheidende Kriterium; sprachliche Idiomatik verlor hingegen ihre Bedeutung. Die einst selbstverständliche künstlerische Akkulturation der Sänger an die jeweiligen Sprachräume gibt es im Klassik-Jetset selten; die Artikulation leidet dementsprechend: „Oft sind es nur Wortfetzen, die den Hörer erreichen.“ Wichtiger jedoch: Die Einheit von Klang und Gedanke existiert kaum noch.

Richard Wagner wusste dagegen noch, dass „die höchste Reinheit der Aussprache“ notwendig ist, „eine leidenschaftliche Phrase muss verwirrend und kann abstoßend wirken, wenn ihr logischer Gehalt unerfasst bleibt“. Einige Stimmen, wie die von Susan Graham, Cecilia Bartoli oder Juan Diego Flórez, machen Kesting dennoch Hoffnung für eine Zukunft des Singens im Eros der Sprache. ALEXANDER CAMMANN

Playboy, 5/2007, 4,60 € www.playboy.de Opernwelt, April 2007, 9,80 € www.opernwelt.de