Wisniewski? Nie gehört!

Rückwärtsgewandte Zeitzeugen, desinteressierte Nachgeborene: Warum die derzeitige RAF-Debatte aus eingefahrenen Gleisen nicht herauskommt und für die politische Gegenwart so fruchtlos bleibt

VON RALPH BOLLMANN

Es fällt derzeit etwas schwer, im privaten Umfeld zu erklären, womit man sich als Journalist den Tag über beschäftigt. Kommt man abends aus der Redaktion zu Freunden und berichtet von den neuesten Enthüllungen zum Thema RAF, erntet man nichts als schweigendes Erstaunen, fast befremdeter noch, als referiere man den jüngsten Stand der historischen Forschung über den Bayerischen Erbfolgekrieg.

Ein Terrorist namens Wisniewski? Nie gehört, da gab’s doch mal den Politiker Wischnewski. Buback-Anschlag? Ach ja, da stand doch mal was in der Zeitung. Christian Klar? Endlich ein wissendes Aufhellen des Blicks: Ja, ja, das ist doch der, der jetzt begnadigt werden soll.

Die Erfahrung ist für einen Journalisten völlig neu, für einen Politikjournalisten zumal. Normalerweise zeichnet sich der Beruf gerade dadurch aus, dass alle mitreden zu können glauben. Zeitung liest schließlich jeder in halbwegs gebildeten bürgerlichen Kreisen, und auch über Politik diskutieren, anderslautenden Gerüchten zum Trotz, noch immer ziemlich viele Leute. Anders als ein Informatiker oder ein Biochemiker, dessen berufliches Wirken im privaten Gespräch mit respektvollem Schweigen übergangen wird, muss der Journalist stets gute Ratschläge entgegennehmen oder sich als unfreiwilliger Weltdeuter ausfragen lassen.

An mangelndem politischen Interesse kann es also nicht liegen, dass kaum einer der unter Vierzigjährigen die derzeitige RAF-Debatte näher verfolgt. Selten war die Öffentlichkeit in ihrer Anteilnahme so haarscharf entlang einer Alterslinie gespalten wie bei diesem Thema. Selten gab es einen historischen Stoff, der schon nach wenigen Jahrzehnten so fern wirkte.

Das heftige Interesse, auf das vor zwei Jahren eine RAF-Ausstellung beim jugendlichen Berlin-Mitte-Publikum stieß, widerspricht diesem Befund nur scheinbar. Schließlich ging es bei dem Ereignis, dass bezeichnenderweise in einer schicken Kunst-Location stattfand, um nichts als den ästhetischen Effekt. Der Logik des Retrotrends gehorchend, war die Geburt eines spezifischen RAF-Schicks aus dem Geist des Siebziger-Revivals nur eine Frage der Zeit.

Selbst das Fahndungsplakat, das in den Siebzigern und Achtzigern jede Bankfiliale zierte, verwandelte sich in eine Ikone der Heimeligkeit. Wo immer es in einer Theateraufführung oder einem Fernsehfilm zu sehen war, stellte es augenblicklich ein Generationengefühl her.

Mit Revolutionsromantik oder gar Terrorgefahr hat dieses Gefühl allerdings wenig zu tun. Viel eher mit der gemeinsamen Erinnerung an eine alte Bundesrepublik, die heute zwar als langweilig und bieder gilt, die andererseits aber eine verloren geglaubte Sekurität repräsentiert.

Der Exterrorist Peter-Jürgen Boock hat das Schweigen seiner einstigen Genossen dieser Tage mit dem Schweigen der Kriegsgeneration verglichen. Das ist eine Übertreibung. Zwar ist es wohl richtig, dass die RAF-Täter unbewusst Handlungsmuster der Elterngeneration kopierten. Aber selbst dann wäre der RAF-Terrorismus nur ein abgeleitetes Sekundärphänomen – kein historisches Ereignis von so epochaler Bedeutung, dass es nach Jahrzehnten noch die Debatten in einem Ausmaß prägen könnte wie vor allem der Umgang mit der Nazizeit.

So führt also die Generation der Zeitzeugen ihren eigenen, vor allem rückwärtsgewandten Diskurs, während sich die Jüngeren desinteressiert abwenden. Damit verfehlen beide den Gegenwartsbezug, der vor allem die Auseinandersetzung mit dem Thema heute noch fruchtbar machen könnte: Was lässt sich aus den Ereignissen der Siebzigerjahre lernen für den Umgang mit dem Terrorismus der Gegenwart?

Die Pläne, die Innenminister Wolfgang Schäuble derzeit täglich aufs Neue zu diesem Thema ventiliert, haben auffällige Ähnlichkeit mit den technokratischen Kontrollfantasien, die in den Siebzigerjahren der damalige BKA-Präsident Horst Herold in die Tat umsetzen wollte. Herold, ein SPD-Mitglied übrigens, trug mit der neu eingeführten Computertechnik für damalige Verhältnisse unglaubliche Datenmengen zusammen – und übersah in seiner Sammelwut am Ende das Naheliegende, etwa den entscheidenden Hinweis auf den Aufenthaltsort des Entführungsopfers Hanns-Martin Schleyer.

Die Lehre daraus schien für alle Lager vor allem zu heißen: Gelassenheit. Für die Politik, dass sie Terror jedweder Art am besten möglichst unbeeindruckt in Leere laufen lässt, statt mit Sondergesetzen darauf zu reagieren. Für die Bürgerrechtler, dass Terrorbekämpfung nicht zwangsläufig zur Abschaffung der Demokratie führen muss. Selbstverständlich ist beides nicht. An diesem Punkt würde sich eine Debatte durchaus lohnen.