Polizei begnadigt Schüler

Innensenator und Polizeipräsident entlasten Polizeischüler: Eine Reihe von Missverständnissen habe zum Antisemitismusvorwurf geführt. Körting erwägt wegen Jugendbanden schärfere Waffengesetze

VON OTTO DIEDERICHS

Ein antisemitischer Vorfall an einer Berliner Polizeischule hatte vor vier Wochen Politik und Polizeiführung aufgeschreckt (taz berichtete). Gleich eine ganze Klasse von PolizeischülerInnen war Ende Februar in den Verdacht geraten, bei einem Unterrichtsprojekt dem jüdischen Holocaust-Überlebenden Isaac Behar (83) erklärt zu haben, sie wollten „nicht dauernd an den Holocaust erinnert werden“. Der Fall machte über Berlin hinaus Schlagzeilen. Polizeipräsident Dieter Glietsch hatte personelle Konsequenzen für den Fall angekündigt, dass sich die Vorwürfe als zutreffend erwiesen.

Im parlamentarischen Innenausschuss nahm Glietsch gestern erneut Stellung zu dem Eklat. Er selbst habe erst Ende März zufällig von der Angelegenheit erfahren, sagte Glietsch. Da die Verursacher nach Auskunft von Behar und des zuständigen Fachlehrers aber nicht feststellbar gewesen seien, habe er Sozialwissenschaftler der Freien Universität (FU) den Fall untersuchen lassen. 20 der insgesamt 24 betroffenen Azubis hatten sich dabei auch einem freiwilligen anonymen Einzelgespräch gestellt. Fazit der Wissenschaftler um Professor Herbert Scheithauer: Manifeste antisemitischer Einstellungen seien „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ nicht feststellbar gewesen. Alles habe sich als Missverständnis durch unterschiedliche Wahrnehmungen herausgestellt, die angehenden Schupos dürften ihre Ausbildung also fortsetzen, sagte Glietsch.

Isaac Behar habe er gebeten, auch weiterhin mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Man sei im Gespräch. Zusätzlich solle die FU auch das Ausbildungskonzept der politischen Bildung extern begutachten. „Nur wenige deutsche Polizeien behandeln das Thema so ausführlich wie wir“, resümierte Innensenator Ehrhart Körting (SPD).

Hinsichtlich rechter Straftaten soll der polizeiliche Staatsschutz künftig verstärkt das Gespräch mit Opferberatungsstellen wie Reach Out und anderen suchen. Aufgrund unterschiedlicher Zähl- und Herangehensweisen gibt es hier regelmäßig Ärger untereinander, was als rechte Straftat gilt. Sogenannte verbale Angriffe etwa zählen für Polizisten nicht; andererseits wird nicht jeder körperliche Angriff von Rechten angezeigt – doch nur das kann die Polizei zählen. „Wir müssen die Angst vor der Anzeige nehmen“, meinte Glietsch. Zur Jugendgruppengewalt formulierte Körting überspitzt: „Mit einem Fahrtenmesser am Gürtel durch die Stadt zu gehen hat für mich mit Freiheit nichts zu tun.“ Körting denkt daher über eine weitere Verschärfung des Waffengesetzes nach.

Vorläufige Entwarnung gibt es bei der geplanten 24-Stunden-Kinderschutz-Hotline, über die BürgerInnen Verdachtsfälle von Kindesmisshandlung und -vernachlässigung melden können sollen. Seit Wochen kann sie nicht geschaltet werden, weil sich im rund 4.000-köpfigen Stellenpool der Berliner Verwaltung keine geeigneten Mitarbeiter für diese Aufgabe finden. Zwei der vier Stellen werden nun aus der Jugendverwaltung besetzt, zwei weitere wurden öffentlich ausgeschrieben. 3.000 BewerberInnen haben sich gemeldet. Zum 2. Mai soll die Hotline nun starten.