Das kleine Watergate von Dortmund

Der Lokalsender Radio 91.2 bringt mit investigativen Recherchen in Mülltonnen die Ermittlungen um veruntreutes Geld im Dortmunder Rathaus voran. Die CDU versucht unterdessen den Fall zu einer „OB-Affäre“ zu machen

DORTMUND taz ■ Es ist der vermutlich größte Scoop in der Geschichte des Dortmunder Lokalsenders Radio 91.2: Im Zusammenhang mit einer Veruntreuungsaffäre im Rathaus gelangte der Reporter Dirk Planert an brisante Papiere. Die Polizei hatte die Belege bei der Durchsuchung der Wohnung der Verdächtigen, die Geld aus dem Haushalt des Oberbürgermeisters veruntreut haben soll, übersehen. Sie lagen unter anderem in der Biotonne vorm Haus, wo Planert sie fand – „unter einer vertrockneten Pflanze“, wie er berichtet.

Es könnten entscheidende Hinweise sein in einer Geschichte, in der die Opposition im Dortmunder Rathaus bereits einen Skandal um Gerhard Langemeyer wittert, den Oberbürgermeister einer der wichtigsten SPD-Hochburgen in NRW. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Frank Hengstenberg sprach bereits von einer „OB-Affäre“. Dass die Opposition gerne politisiere, müsse man wohl hinnehmen, sagte Langemeyer der taz. Doch es handele sich um das Fehlverhalten einer Sachbearbeiterin. „Das hat nichts mit meiner Person zu tun“, sagte er.

Rückendeckung bekommt er vom Koalitionspartner, den Grünen. „Es ist verständlich, dass die CDU versucht, daraus eine OB-Affäre zu konstruieren“, sagte die Landeschefin der Grünen, Daniela Schneckenburger, die auch in der Dortmunder Lokalpolitik aktiv ist. Sie sei aber im Zweifel darüber, ob sich dies aus den Entwicklungen ableiten lasse. „Das kann man Herrn Langemeyer nicht persönlich zurechnen“, sagte der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Rat, Mario Krüger. Auch die SPD-Fraktion stellte sich vor den Rathauschef.

Im Visier der Ermittler steht eine 41 Jahre alte Angestellte aus dem Amt des Dortmunder Oberbürgermeisters. Die Sachbearbeiterin ist im Verdacht, seit Anfang 2006 einen sechsstelligen Betrag veruntreut zu haben. Gestern enthüllte Radio 91.2 auch das mutmaßliche Tatmotiv: Kokain. Er wisse „aus gesicherter Quelle“, dass die Polizei in diese Richtung ermittele, sagte Planert der taz.

Die Staatsanwaltschaft wollte sich dazu nicht äußern. Sie geht den Hinweisen der Stadt seit vergangener Woche nach. Bei den Unterlagen, die die Stadt zur Verfügung stellte, fanden die Ermittler bereits 25 vermutlich gefälschte Kassenbelege. Die Höhe der Geldbeträge liegt zwischen 200 und 5.000 Euro.

Unter den Papieren, auf die Planert in den Mülltonnen der Verdächtigen stieß, waren weitere Belege: Ein so genannter Eigenbeleg als Ersatz für eine Quittung über 800 Euro für einen Journalistentag sowie ein Kassenbeleg über eine Barauszahlung von 50 Euro für einen 101. Geburtstag. „Wir sind sehr froh, dass Dirk Planert sie gefunden hat und uns gegeben hat“, sagte Oberstaatsanwältin Ina Holznagel. Den Ermittlern sei eine Panne passiert.

Beamte durchsuchten die Wohnung der Verdächtigen schon am vergangenen Mittwoch. Dirk Planert begann Freitag mit seiner Recherche und fuhr zum Haus der Frau, wo er zunächst erfolglos mit Nachbarn sprach. „Ich kam in der Nummer nicht weiter.“ Und wenn man wissen wolle, wie ein Mensch lebe, müsse man seinen Müll betrachten. „Es ist sonst nicht meine Art, in der Biotonne nachzugucken“, sagt Planert. Doch er hatte Glück. In den Tonnen fand er neben den besagten Belegen auch Kontoauszüge, die darauf hin deuteten, dass die Frau pleite war. Sie sitzt seit Donnerstag in Untersuchungshaft. Die Ermittlungen gegen sie werden nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft noch „geraume Zeit“ dauern. Es müssten „viele viele hundert Belege“ durchgesehen werden. KATHARINA HEIMEIER