Die große Konfrontation

In der letzten Bürgerschaftssitzung vor den Wahlen attackiert die SPD den Koalitionspartner: Die CDU lege sich nur ein „soziales Mäntelchen“ um. Die CDU erkennt: Hier betreibt jemand Wahlkampf

SPD-Fraktionschef Sieling zur CDU: „Sie haben gekniffen, als es ernst wurde“

von Eiken Bruhn

Nicht nur die Grüne Fraktionschefin war begeistert: „Hier ist ja richtig was los“, freute sich Karoline Linnert, nachdem sich SPD und CDU bei der gestrigen Bürgerschaftssitzung richtig in die Haare bekommen hatten. „Schade, dass das in den letzen vier Jahren so selten der Fall war.“

Dass Linnert solche Freude hatte, lag daran, dass die SPD sich kurz vor den Wahlen am 13. Mai zunehmend gegen die CDU positioniert. Vor vier Jahren sah das ganz anders aus. Da war der heutige Bürgermeister Jens Böhrnsen noch SPD-Fraktionschef unter Henning Scherf, von dem er sich die große Koalition diktieren ließ. Statt der CDU bekam daher damals die Grüne Opposition von Böhrnsen eins auf die Mütze. Gestern hingegen erklärte Böhrnsen, die CDU sei „kein guter Bündnispartner“.

Anlass war der Streit um ein Mindestlohn. Geradezu beleidigt warf die CDU der SPD vor, mit der Forderung nach gesetzlichen Mindestlöhnen Wahlkampf zu betreiben – auf Kosten des Koalitionspartners. SPD-Fraktionschef Carsten Sieling wies diesen Verdacht weit von sich – um daraufhin zu erklären, die CDU habe sich in den vergangenen Wochen „ein soziales Mäntelchen“ umgelegt, ohne ihren Worten Taten folgen zu lassen. „Sie haben im ersten Moment gekniffen, als Sie hätten beweisen können, dass es Ihnen ernst ist mit der Bekämpfung von Armut“, wetterte Sieling. Er meinte die Weigerung der Bremer CDU, im Bundesrat die Einführung eines Mindeststundenlohns zu fordern.

„Die Debatte gehört nach Berlin“ verteidigte sich CDU-Fraktionschef Hartmut Perschau. In seiner gleichzeitig verteilten Presseerklärung versuchte er den Eindruck zu zerstreuen, SPD und CDU lägen sich grundsätzlich in der Wolle. „Das Ziel ist klar, nur der Weg ist unterschiedlich“, man streite sich nicht um das „Ob“ von 7,50 Euro, sondern lediglich das „Wie“.

Dem widersprachen sowohl Sieling als auch Böhrnsen: Statt die Arbeitgeber zur Zahlung von Mindestlöhnen zu verdonnern, wolle die CDU Hungerlöhne aus der Staatskasse auffüllen. „Wir brauchen das Geld aber für etwas anderes“, sagte Sieling. Es sei zynisch zu behaupten, Mindestlöhne seien kein landespolitisches Thema, setzte Böhrnsen noch einen drauf. „Als gäbe es in Bremen und Bremerhaven keine Armut!“

Dass Menschen 40 Stunden in der Woche arbeiten würden, ohne davon menschenwürdig leben zu können, sei eine Realität, konterte Böhrnsens Stellvertreter Thomas Röwekamp (CDU). Das sei auch anders gar nicht möglich, da es sich um Ungelernte handeln würde, die, so legten seine Worte nahe, froh sein müssten, überhaupt Arbeit zu haben.

Mit dieser Aussage schloss er die rot-grüne Front gegen sich: Ein Drittel derjenigen, die trotz Arbeit arm sind, seien Personen mit einem Berufsabschluss, rechnete ihm die Grünen-Chefin Linnert vor. Und: Röwekamps Vorwurf, für Billiglöhne etwa im Frisörhandwerk und im Einzelhandel seien die Gewerkschaften verantwortlich, ginge an der Realität vorbei. „Die Gewerkschaften stehen wegen der Massenarbeitslosigkeit unter Druck.“

Wie wenig CDU und SPD in der vergangenen Legislaturperiode an einem Strang gezogen hatten, wurde zum Schluss des gestrigen Sitzungstags beim Thema „Ortsamtsleiter für Burglesum“ noch einmal deutlich. Seit 16 Monaten ist der Posten vakant. Der Grüne Innenpolitiker Matthias Güldner erinnerte daran, wie sich die CDU monatelang weigerte, einem Ortsamtsleiter in Schwachhausen zuzustimmen, solange die SPD den Kandidaten in Burglesum ablehnte.