Berlin will noch zehn Jahre Munition streuen

Klingt gut, ist es aber nicht: Ein Papier der Bundesregierung zum Verbot von Streumunition stößt bei Experten auf Kritik

BERLIN taz ■ Die Bundesregierung versucht, ein internationales Verbot von Streumunition zu untergraben. Vergangene Woche legte sie bei einem Expertentreffen des Roten Kreuzes in Montreux ein Papier vor, das im ersten Moment vielversprechend klingt: „Dreistufenplan zum weltweiten Verzicht auf gefährliche Streumunition.“ Gedacht ist der Vorschlag als Diskussionsgrundlage für ein Protokoll im Rahmen der UN-Waffenkonvention. Doch dort wird das Thema seit fünf Jahren vergeblich gewälzt; bisher gibt es nicht einmal ein Verhandlungsmandat.

Deshalb hatten sich 46 Länder im Februar in Oslo geeinigt, ähnlich wie beim internationalen Verbot von Landminen einen anderen Weg zu gehen und gemeinsam ein rechtlich bindendes Verbot zu verabschieden. Die Bremser USA, Israel, China und Russland sind nicht dabei. Bei genauerer Betrachtung erweist sich das neue Papier der Bundesregierung als Versuch, die eindeutige Haltung der Oslo-Staaten aufzuweichen und die Waffenbestände der Bundeswehr zu schützen. Das, was das Verteidigungsministerium sowieso loswerden will, soll dann als Abrüstung verkauft werden. Zugleich will die Regierung den Absatz für deutsche Waffenschmieden sichern. Nach Vorstellung der Bundesregierung soll „unverantwortliche“ und „ungenaue“ Streumunition ohne Selbstzerstörungsmechanismus international so schnell wie möglich ausgemustert werden. „Verantwortliche“ und „genaue“ Techniken, worunter Berlin Streumunition mit Selbstzerstörungsmechanismus versteht, sollen aber noch zehn Jahre erlaubt sein.

Angeblich hat die Munition der Bundeswehr eine Fehlerquote von nur einem Prozent. Doch Thomas Küchenmeister vom Aktionsbündnis Landmine.de bezweifelt diese Angabe: „Die Bundesregierung weigert sich, die Ergebnisse der Tests zu veröffentlichen.“ Das Problem: Kein Bauer kann sein Feld betreten, wenn dort scharfe Munition herumliegt – egal ob es sich dabei um ein oder zehn Stück handelt.

Darüber hinaus sind nicht nur die Blindgänger eine Gefahr für Zivilisten: Eine Salve des MLRS-Raketen-Werfers trifft wahllos Ziele auf einer Fläche von 200 Fußballfeldern.

Im dritten Schritt will Berlin weltweit nur noch sogenannte Sefam-Streumunition zulassen. Bei diesen Waffen suchen Sensoren die Ziele. Solche Waffen gibt es schon – sie werden von einer deutschen Firma hergestellt. Die „Gesellschaft für intelligente Wirksysteme“, ein Tochterunternehmen von Rheinmetall und Diehl, preist sein Geschoss: „Mit SMArt® 155 ist die Artillerie erstmals in der Lage, stehende und fahrende, getarnte und ungetarnte, schwach und stark gepanzerte Ziele punktgenau und effektiv in jeder Umgebung und bei jeder Witterung mit minimalem Munitionsaufwand wirksam zu bekämpfen.“

Doch auch diese Munition kann nicht zwischen zivilen und militärischen Zielen unterscheiden und muss deshalb nach Ansicht des Aktionsbündnisses verboten werden. Auch das Entwicklungshilfeministerium hat sich für ein eindeutiges Verbot von Streumunition ausgesprochen – diese Forderung teilen Außen- und Verteidigungsministerium nicht. Am 22. Mai treffen sich die Oslo-Staaten in Lima; im Juni findet das nächste Treffen der UN-Waffenkonvention statt.

ANNETTE JENSEN