im instrumentenmilieu: belogen, betrogen, gedemütigt von HARTMUT EL-KURDI
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Eine der unangenehmsten Situationen im Lebens ist – wer wüsste das nicht –, wenn man einem Musikinstrumentenhändler gegenüberstehen muss.

Früher gab es nur eine Ausführung dieses Menschentypus: den dicklichen Old-School-Händler, der phänotypisch vor allem durch sein weißes Herrenoberhemd auffällt, das in der Körpermitte aus dem Hosenbund herauswurstelt und immer hastig nachgestopft wird. In der Regel handelt es sich dabei um den Seniorchef des einzigen Musikgeschäfts (mit angeschlossenem „Orgelstudio“) einer 75.000-Einwohner-Gemeinde.

Dieser Mann ist ein professioneller Lügner. Es gibt sogar die These, dass er seinen Beruf nur ausübt, weil er wegen moralischer Verfehlungen aus der Gilde der Gebrauchtwagenhändler ausgeschlossen wurde, die Makler ihn verstoßen und selbst die Crackdealer ihn kopfschüttelnd abgewiesen hätten. Seine idealen Opfer sind Eltern, die selbst von Musik keine Ahnung haben, deren Kinder es aber „besser haben sollen“.

Kürzlich belauschte ich ein Verkaufsgespräch mit einem solchen Elternpaar. Der Verkäufer pries ein teures elektronisches Piano an: „Das ist technisch so weit, da hört man keinen Unterschied mehr zum echten Klavier. Vom Klang her muss man sagen: Das ist ein echtes Klavier!“ Zum Beweis spielte er stümpernd den Anfang von „Für Elise“ an. Die unwissenden Eltern waren beeindruckt, bis sich von hinten eine ältere Dame einmischte und die Dinge klarstellte: „Klaviere klingen anders!“ Der Verkäufer wollte die Störerin abwimmeln, aber die kritische Oma erwies sich als eine Mischung aus Musikwissenschaftlerin und Physik-Nobelpreisträgerin und erklärte haarklein, dass und warum ein Digitalklavier gar nicht klingen könne wie ein Holzklavier mit Saiten drin. Am Ende ihrer Ausführungen bemerkte sie, dass man für den Preis dieses E-Pianos auch schon ein gebrauchtes Echtklavier bekäme, woraufhin der Verkäufer sie kurzerhand des Ladens verwies. Die eigentlich schon kaufbereit gequatschten Eltern gingen dann allerdings auch.

In Großstädten gibt es inzwischen eine neue, hippe Variante dieses Berufsstandes. In Vollendung habe ich diese übrigens in London erlebt. Eigentlich sind diese Verkäufer keine Verkäufer, sondern Rockstars: jung, gepierct und tätowiert bis unter die Vorhaut, auf dem Kopf einen sorgfältig verschnittenen Britpop-Mop.

Klar ist: Ihre Anwesenheit in diesem Geschäft ist nur einer Verkettung tragischer Umstände zu verdanken, „in echt“ gehören sie auf das Cover des New Musical Express. In ihren Gesichtern bewegt sich nichts – die Gesichtsmuskeln haben sich vor lauter Coolness schon lange zurückgebildet. Nur die Augenbrauen können sie noch genervt hochziehen. Will man eine Gitarre testen, nehmen sie sie von der Wand, spielen selbst kurz irgendeinen Angeber-Lick, reichen sie weiter und verlassen dann angeekelt den Raum, um sich wieder in ihre eigene Welt zurückzuziehen. Eine Welt, in der es keine Stümper gibt.

Gegenüber dem Oberhemdenwurstel haben sie allerdings einen Vorteil: Sie haben nicht das geringste Interesse, einem irgendetwas anzudrehen. Und das ist ja schon mal was.