Als der Frisör mich tätowierte

Käse beim Bäcker und Maler von Tchibo: Die Welt wird verrückt. Aber ich mache dabei nicht mehr mit

Alles fing damit an, dass der Metzger eines Tages einen Teil seiner Theke für Käse reserviert hatte. Nun ja, dachten wir uns, kommt beides aufs Brot. Irgendwie passt das schon zusammen, obwohl wir schnell bemerkten, dass die Metzgerei-Fachverkäuferin von Käse keine Ahnung hatte und nicht einmal zwischen Gouda und Tilsiter unterscheiden konnte.

Der Nächste war der Bäcker. Von einem Tag auf den anderen verkaufte er neben Backwaren auch noch Fleisch. Fleischkäse im Brötchen, Buletten und panierte Schnitzel.

Der Schuster nannte sich plötzlich „Mister Minit“ und verkaufte Hausschlüssel. Der Tankwart eröffnete in seiner Tankstelle einen Backshop, und Lidl verkaufte Tickets der Deutschen Bundesbahn. Nein, ich wundere mich nicht darüber, dass man sich jetzt bei Tchibo für Nachhilfeunterricht in Deutsch und Physik anmelden kann. Guten Kaffee gibt es schließlich anderswo. Vielleicht im Gartenfachhandel? Auch wer seine Küche streichen lassen will, muss nicht mehr zum Maler gehen. Man geht zu Tchibo. Erst hielt ich den Hinweis für einen Witz: Aber dort kann man tatsächlich den Maler bestellen, „inclusive Anfahrt und Verrücken“ wirbt der Hamburger Bohnenröster auf seiner Internetseite.

Verrücken ist in diesem Zusammenhang das richtige Wort. Irgendetwas scheint verrückt, wenn Menschen nicht mehr tun, was sie gelernt haben und was sie können, sondern glauben, sie müssten das Geschäft ihres Nachbarn auch noch übernehmen. Ich werde den Teufel tun, mir meine Küche von Bohnenröstern streichen zu lassen oder meinen Sohn zur Englisch-Nachhilfe in den Coffeeshop zu schicken. Ich bin ein gebranntes Kind. Ich weiß, was es heißt, von einem Frisör tätowiert zu werden.

Es war in Colombo und zu einer Zeit, als die meisten Menschen zu Sri Lanka noch Ceylon sagten. In den Stunden bis zum Rückflug hatte ich mich auf dem Markt der Stadt noch ein wenig von Edelsteinhändlern über den Tisch ziehen lassen und garantiert echte falsche Halbedelsteine eingekauft. Noch im glücklichen Glauben, ein Schnäppchen gemacht zu haben, nutzte ich die restliche Zeit um meine Haare in einem Frisörladen schneiden zu lassen. Der Frisör war ein sehr freundlicher Mann, der mir ein verlockendes Angebot machte. Haare schneiden für damals noch umgerechnet eine Deutsche Mark.

Haare schneiden und tätowieren im Set zum Preis von nur zwei Mark. „Geiz ist geil“ war damals zwar noch kein Begriff, aber die dahinter verborgene Denkweise schon. Ein Tattoo für nur eine Mark (fünfzig Cent) – da war der Schwabe in mir stärker als der kleine Mann im Ohr, der mir zurief: „Um Himmelswillen, tu’s nicht!“

Der Ceylonese zeigte mir einen Katalog mit Motiven, bunt gemalt und wirklich schön. Ich entschied mich für eine kleine Schlange mit roter Zunge und deutete auf meinen linken Oberarm. Eine halbe Stunde später wusste ich, was Kindergebären heißt. Mit noch vom Schmerz verzogenen Gesicht bezahlte ich und ging.

Seither muss ich im Sommer immer wieder erklären: „Nein, das ist kein Molch. Es ist auch nicht das Geheimzeichen einer Maurerloge. Es ist eine süße kleine Schlange, die ihre rote Zunge heraus streckt.“

Wahrscheinlich war der Frisör eigentlich Taxifahrer und hatte auf Frisör umgesattelt, um dann zu merken, dass man mit Tätowieren noch mehr Geld verdient. „Laterale Diversifizierung“ nennt man das in Managerdeutsch. Ein sehr schönes Wort. Es besagt, dass ein Unternehmen, das zum Beispiel Hosenknöpfe herstellt, auch in der Lage sein sollte, Messgeräte für Dampfgasturbinen zu produzieren. Oder so ähnlich. Herr Kleinknecht von Siemens kann das aber sicher besser erklären. Und warum das alles Sinn macht.

Ich brauche ein neues Hemd. Wo ich es kaufe? Keine Ahnung. Jedenfalls nicht in einem Textilgeschäft. Dort kaufe ich Handykarten. Vielleicht bei meinem Bäcker? An meiner Tankstelle? Oder sollte ich es mal bei Siemens versuchen?

PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH

Fragen zur Tätowierung? kolumne@taz.de MITTWOCH: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN