Rache am Bürger

Wenn der Gemeinderat der Kultur den Garaus macht: In Freiburg tobt eine Debatte um Einsparungen, getragen von einer schwarz-grünen Allianz. Erstes Opfer ist der Tanz, aber ein Verein hält dagegen

VON DOROTHEA MARCUS

Freiburg ist dieser Tage mit großen Transparenten gepflastert. „Das kulturelle Erbe der Stadt muss angemessen gepflegt werden“, heißt es auf Fassaden und an Litfaßsäulen, und „Das Selbstbild der Stadt Freiburg ist das einer Kulturstadt mit dem Anspruch, sich als Stadt der Künste zu verstehen“. Nicht gerade schöne, aber richtige Sätze, mag sich der Besucher sagen, der in der sichtlich wohlhabenden Kommune des ohnehin reichen Baden-Württembergs vorbeikommt. Aber wozu sie so selbstgefällig aufhängen?

Die Sätze sind eine Protestaktion von 45 Freiburger Institutionen gegen den massiven Kulturabbau, der seit Wochen unter den Parteien des Gemeinderats diskutiert wird. „Kultur macht reich“ nennt sich die Initiative, die sich dagegen wehrt, dass „Kultur in Freiburg immer nur unter ökonomischen Zwängen und Spardiktaten“ gesehen wird, so Mitbegründerin Traute Hensch. Vor zwei Wochen wollte der grüne Oberbürgermeister Dieter Salomon die Transparente abhängen lassen – dabei sind die hehren Absichtserklärungen Ausschnitte aus den „kulturpolitischen Leitlinien“ der Stadt.

Warum die Politik die Kultur in Freiburg seit Jahren als Geldverschwendung bekämpft, ist kaum zu begreifen. Ist Rache ein Motiv? Das vermuteten Freiburger Kulturschaffende im November 2006. Da war die schwarz-grüne Allianz, die einen kompletten Ausverkauf der kommunalen Wohnungen vorgesehen hatte, an einem Bürgerentscheid gescheitert. Wie durch ein Wunder tauchten danach doch noch 30 Millionen Euro an Steuereinnahmen auf und die Stadt konnte beschlussfähig bleiben.

Nun schien die Zeit der Rache am frechen Bürgervotum gekommen: Mit immer neuen Vorschlägen überschlugen sich die Fraktionen im Gemeinderat, um der Kultur den Garaus zu machen – dabei erwartet die Stadt im Mai noch einmal Steuereinnahmen in lange nicht gekannter Höhe. Wieder mal sollte die Tanzsparte des Stadttheaters Freiburg abgeschafft werden, forderten CDU und Freie Wähler, Ersparnis: 250.000 Euro – dabei verzeichnet das Konzept eines experimentellen und sozialen Tanzlabors des Choreografen Joachim Schlömer in der ersten Spielzeithälfte eine Zuschauersteigerung von 34 Prozent. Außerdem fordern CDU und Grüne ein Gutachten, mit dessen Hilfe bis 2009 500.000 Euro eingespart werden sollen – mit den längst beschlossenen Kürzungen zusammen ergibt das mittlerweile fast 1,5 Millionen Sparlast für das Theater in fünf Jahren.

Das politisch engagierte Theater im Marienbad solle ins Stadttheater eingegliedert werden und das alte Jugendstilbad „als Immobilie sinnvoller genutzt werden“, forderte die CDU. Am verheerendsten wirkte sich die Vorschlagsliste auf die alternativen Kulturzentren und freien Szenen aus – und brächte so viel Einsparpotenzial, wie ein neuer Kreisverkehr kostet. So sollten die Zuschüsse für das Freiburger Filmforum, das Studio für experimentelle Musik und ein Jazzfestival verschwinden.

„Grün und Schwarz haben hier versucht, ein Drohszenario wahr zu machen“, sagt der Stadtrat der Kulturliste Atai Keller. Der Initiative von „Kultur macht reich“ ist es jetzt wohl zu verdanken, dass zumindest die Tanzsparte vorerst gerettet ist – Kunstverein und Jazzfestival werden empfindlich gekürzt, das internationale Theaterfestival ist quasi abgeschafft. Im Mai, erst nach der entscheidenden Gemeinderatssitzung, werden übrigens die erwarteten Steuereinnahmen veröffentlicht – Schätzungen gehen von noch einmal 10 Millionen aus. In Freiburg sollen sie aber lieber für „Rücklagen“ verwendet werden als für den Erhalt der Kulturszene.