DIE SPD LEIDET, WEIL SIE WEICHE THEMEN NOCH IMMER NICHT BESETZT
: Scheitern am Gedöns-Prinzip

Es fällt schwer, den einstigen Befürwortern einer großen Koalition in diesen Tagen nicht mit Schadenfreude zu begegnen. Was hatten sie sich nicht alles von einem solchen Bündnis versprochen, das von dem angeblichen rot-grünen „Reformstau“ genauso weit entfernt sein sollte wie von einem wirtschaftsliberalen Durchmarsch von Schwarz-Gelb. Und jetzt das: Gerade ein Drittel der Wahlperiode ist vergangen, schon kennen Union und SPD keinen anderen Gesprächsstoff als die Erkundung potenzieller Themen für einen Wahlkampf, der regulär erst im Spätsommer 2009 stattfindet.

In diesem Spiel sieht die SPD schlecht aus, weil sie auf Unionsvorschläge nur reagiert und stets die Rolle des Beleidigten spielt. Wie schon zu Zeiten von Rot-Grün hat das seinen tieferen Grund in der notorischen Unterschätzung der vermeintlich weichen, gesellschaftlichen Themen. Das Wort vom „Gedöns“ dürfte der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder zwar ebenso bereut haben wie die von ihm ratlos zurückgelassene Partei. Bei der Regierungsbildung 2005 ist die SPD jedoch strikt nach dem „Gedöns“-Prinzip vorgegangen und hat sich ganz auf die vermeintlich harten Bereiche Finanzen, Arbeit und Soziales konzentriert.

Den Bonus der Modernisiererin heimst jetzt Familienministerin Ursula von der Leyen ein, und die SPD findet sich in der undankbaren Rolle wieder, ihre ursprünglich eigenen Konzepte auf den Boden des finanziell Machbaren zurückzuholen. Auf dem zweiten großen Feld der Gesellschaftspolitik, der Integration von Zuwanderern, ist die SPD gleich gar nicht mehr vernehmbar. Da lädt Innenminister Wolfgang Schäuble, auf anderen Gebieten in der Rolle des Bösewichts, großzügig zur Islamkonferenz, und der Düsseldorfer Integrationsminister macht das CDU-regierte Nordrhein-Westfalen zum Experimentierfeld. In beiden Fällen geht es im Kern um jene gesellschaftliche „Teilhabe“, von der die SPD in ihren Programmdebatten so gern redet – für die sich die Führungsriege aber nicht interessiert, weil sie auf der offenbar vordringlichen Suche nach einem „Casus Belli“ hier nicht fündig werden kann. RALPH BOLLMANN