Die erreichbare Diva

Hach! Die Weltstars Anna Netrebko und Rolando Villazón, bekannt aus Film, Funk und Fernsehen, treten in der Berliner Staatsoper auf. Gegeben wird „Manon“ von Jules Massenet, vor allem natürlich aber eins: die große Anna-Netrebko-Show

VON DIRK KNIPPHALS

Hochkulturkonsumenten bilden inzwischen ein erstaunlich buntes Völkchen. Da ist der freundliche Schwule, der ein Schild mit der Aufschrift „Tausche Liebe gegen Karte“ hochhält (was er wohl getan hätte, hätte eine Frau Anstalten gemacht, auf dieses Angebot einzugehen?). Da ist die nette ältere Dame mit der Perlenkette, die im Presseschalter höflich anfragt, ob man vielleicht noch eine zweite Karte habe, und dann süß mädchenhaft errötet, als man verneint und hinzusetzt, dass man das aber schade fände, weil man sie gern mit hineingenommen hätte. Da ist dann zwar auch der Typus höherer Angestellter mit Gelfrisur, der seiner dekolletierten Frau eben auch einmal so etwas bietet. Wenn man es sich leisten kann! Aber da sind dann eben auch interessantere und nicht so leicht auf den Begriff zu bringende Leute: Mütter mit ihren halb erwachsenen Söhnen, freundliche Professorenehepaare, junge Frauen mit eigenen Ambitionen im Kulturbereich – oder zumindest, darauf wird es in der Karriere ja oft hinauslaufen, im Bereich des Kulturmanagements …

Jedenfalls ist aus der Erfahrung so einer Anna-Netrebko-Premiere heraus deutlich Entwarnung zu geben. Heimlich war man ja, ehrlich gesagt, auch gekommen, um mal nachzuschauen, ob es so ein neues, kulturreligiös in der Feier von Anmut und Schönheit vereintes Kulturbürgertum möglicherweise tatsächlich geben könnte, das vor allem der Spiegel unter dem Kulturchef Matthias Matussek aufdringlich herzuschreiben versucht. Wird es aber nicht. Wenn die „Manon“-Premiere vom vergangenen Sonntag an der Berliner Staatsoper Unter den Linden nur halbwegs repräsentativ ist, und eigentlich spricht da nichts gegen, wird es eher so sein, dass man sich zu solchen Ereignissen trifft und dann aber auch beschwingt, aber sachlich auseinandergeht. Ein neuer bürgerlicher Geist ist aus solchen Mischformen aus Hoch- und Eventkultur eher nicht zu erwarten – viele der Zuschauer wirkten schlicht auch zu intelligent, als dass man ihnen unterstellen wollte, sie würden sich wer weiß was darauf einbilden, dass es ihnen gelingt, einen Anzug oder ein Kleid anzuziehen und sich in einer Oper halbwegs zu benehmen.

Auch eines zweiten Eindrucks kann man sich nicht erwehren: dass es zwar schon irgendwie ganz richtig, aber auch ein bisschen albern ist, so ein Ereignis als Medienhype, als reines Spektakel und Event, ein bisschen gar als Einbruch der Spaßgesellschaft ins Herz der Kultur zu geißeln. Das mag ja richtig sein. Das weiß aber ein jeder auch selber. Man wird ziemliche Mühe haben, jemanden zu finden, der die Illusion hegt, wirklich einem großen Opernereignis beizuwohnen. Vielmehr wissen die Leute ganz genau, was sie wollen: die große Anna-Netrebko-Show. Und genau die kriegen sie dann auch, auf höchstem kulturkonsumistischem Niveau und mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt.

Der Hauptnachteil: Die Inszenierung hält sich, was den interpretatorischen Zugriff auf die Oper von Jules Massenet betrifft, zurück. Gelinde gesagt. In Wirklichkeit besteht sie nur darin, ordentlich Bewegung und Schauwerte zu bieten, wenn Anna Netrebko und Rolando Villazón, ihr Duettpartner, mal nicht auf der Bühne sind, und dann wiederum alles auf die Stars abzustimmen, sobald sie auf der Bühne sind. Hübsch immerhin, ein kleines Verfremdungsmotiv: Gelegentlich lässt Regisseur Vincent Paterson die Netrebko, während sie zunächst rollengemäß ein Mädchen vom Lande, bald aber schon eine vergnügungssüchtige Großstadtbewohnerin und Männerverschlingerin gibt, mit großen Filmscheinwerfern umkreisen. So weist denn auch die Inszenierung selbst darauf hin: dass alles hier nur Show ist.

Der Vorteil: Auch um so eine Show zu bieten, muss man etwas können – und alles klappt bei dieser „Manon“ wie am Schnürchen. Die Szenen mit Volk unterm Eiffelturm: prima choreografiert. Die etwas alberne Verhaftung im Spielcasino: gut von der Regie in Gang gehalten. Die Liebesduette: klasse – wobei Rolando Villazóns Stimme übrigens um einiges wärmer und herzlicher klingt als die eher kühle Stimme Netrebkos, die sie dafür wirklich aufregend in die Höhe werfen kann. Liebestod und Verklärung am Schluss: prima hingekriegt vor Cinemascope-Sonnenuntergang im Bühnenhintergrund.

Anna Netrebko gibt wirklich alles. Sie ist keine unerreichbare, keine launische Diva; eher wirkt sie wie die am härtesten arbeitende Frau der Produktion, und man bewundert sie dafür, dass sie all diese Gefühlsproduktion dann doch irgendwie strahlend und anstrengungslos hinbekommt. Und zwischendurch kommen immer wieder Szenen, nach denen man sich gewünscht hätte, sie einmal wirklich in einer richtigen Operninszenierung zu sehen. Aber das ist bei dieser Produktion eben nicht im Preis inbegriffen.