Maximaleinsatz für Mindestlohn

Prekäre Arbeitsverhältnisse, Lohndumping oder Leiharbeit: Selten gab es so viele Gründe, bei der Gewerkschaftsdemo zum Brandenburger Tor mitzulaufen. DGB kritisiert vor 13.000 Teilnehmern eine „Gefährdung der Demokratie“

Michael Schreck ist Bibliothekar. Er katalogisiert Bücher in der Zentralen Landesbibliothek, und er verdient mit seiner Arbeit so wenig, dass er ergänzend Hartz-IV-Leistungen beziehen muss. Der 54-Jährige steckt in einer AB-Maßnahme und fühlt sich durch die niedrige Entlohnung „nicht respektiert und gedemütigt“. Schreck, der gestern Vormittag eine Ver.di-Fahne in den blauen Himmel reckte, war einer von vielen, die bei der Gewerkschaftsdemonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) mitliefen.

Ihr Motto „Du hast mehr verdient!“ war pragmatisch gewählt, ließ es sich doch gleich gegen mehrere gesellschaftliche Tendenzen verwenden: gegen Niedriglöhne, gegen prekäre Verhältnisse, gegen Leiharbeit. Entsprechend viele Themen streifte Annelie Buntenbach, Hauptrednerin und DGB-Vorstandsmitglied, bei der Abschlusskundgebung auf dem Platz des 18. März vor dem Brandenburger Tor.

„Der Arbeitsmarkt ist in Unordnung geraten“, so Buntenbach. „Die vielen erzwungenen betrieblichen Bündnisse sind oft Erpressungsmanöver, um längere Arbeitszeiten und niedrigere Löhne zu erzwingen.“ Immer mehr Menschen würden in Leiharbeit, befristete Arbeitsverhältnisse, Mini- oder 1-Euro-Jobs abgedrängt, kritisierte sie. Sie sprach nach DGB-Angaben vor 13.000 Menschen, schon beim Demozug waren 5.000 Teilnehmer mitgelaufen.

In den vergangenen Jahren seien rund 1,5 Millionen reguläre Jobs vernichtet und umgewandelt worden, sagte Buntenbach weiter. Ein solches Ausmaß an prekären Jobs und Lohndumping führe zu einer „Gefährdung der Demokratie“, folgert Buntenbach. Nur wer sich in seinen Lebensverhältnissen sicher fühle, könne für seine Interessen streiten. „Angst lähmt. Was wir brauchen, ist aber mehr demokratische Einmischung, nicht den frustrierten Rückzug.“ Andere Redner kritisierten aktuelle Entwicklungen, etwa die drohende Auslagerung zehntausender Telekom-Mitarbeiter in Untergesellschaften.

Die Forderung der Gewerkschaften nach einem gesetzlich festgelegten Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde fand sich auch im bunten Demonstrationszug wieder: Die Leute trugen Plakate mit Aufschriften wie „Lohndumping verboten“, „Fair statt prekär – gute Arbeit für Berlin“ oder „Umbau statt Abbau“. Bei hellem Sonnenschein liefen die Menschen vom DGB-Haus an der Keithstraße über die Kurfürsten- und Potsdamer Straße bis zum Brandenburger Tor. Ein Schalmeienzug und verschiedene Lautsprecherwagen spielten auf, gut gelaunt schob man Kinderwagen und Fahrrad vor sich her.

ULRICH SCHULTE

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