Kein Bock auf Krawall

In Berlin-Kreuzberg blieb es am 1. Mai friedlich. Die Jugend wollte lieber Musik hören als Steine schmeißen

Die Einzigen, die es noch nicht wahrhaben wollen, sind die Boulevardmedien: „1. Mai Randale. Hört das denn nie auf?“, titelte die B.Z. „Mehr als 100 Chaoten festgenommen“, vermeldete Bild.

Offenbar brauchen die Springer-Blätter die Kreuzberger Randale mehr als die Kreuzberger selbst. Schließlich war der diesjährige 1. Mai in Kreuzberg so friedlich wie im vergangenen Jahr. Mehr noch: Nach drei Jahren, in denen die Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei stetig zurückgegangen waren, kann man wohl sagen: Das Randaleritual gehört – von einigen Unverbesserlichen abgesehen – der Vergangenheit an.

Entsprechend zufrieden legte gestern Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) seine Maibilanz vor. Zwar gab es mit 234 Festnahmen in Kreuzberg und in der Walpurgisnacht in Friedrichshain eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr, als 179 Personen festgenommen wurden. Die Zahl der verletzten Polizisten ging aber von 66 auf 43 zurück. Es habe einzelne Auseinandersetzungen mit Jugendlichen gegeben, größere Randale sei ausgeblieben, so der Innensenator.

Der Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch meinte, zum dritten Mal in Folge habe das Einsatzkonzept der Polizei Erfolg gehabt. Dieses deeskalierende „Konzept der ausgestreckten Hand“ erprobt die Berliner Polizei, sonst selbst Teil des Problems, seit dem Amtsantritt des rot-roten Senats 2001.

Den größten Anteil am weitgehend friedlichen Mai in Kreuzberg hatte das „Myfest“, das Anwohner und Bezirkspolitiker seit vier Jahren organisieren. Diesmal drängelten sich mehr als 50.000 KreuzbergerInnen zwischen Mariannenplatz und Oranienplatz, unter ihnen auffallend viele Migranten. „Das gibt es nur am 1. Mai“, freute sich Berlins Grünenchefin Barbara Oesterheld. „Selbst beim Karneval der Kulturen ist die türkische Community nicht so präsent.“

Dass das „Myfest“ tatsächlich zum Fest der Kulturen wurde, lag nicht nur an zahlreichen Köfte-Buden oder den 18 Bühnen, auf denen es auch türkische Folklore gab. Wie in den Jahren davor hatten die Myfest-Macher auch diesmal türkische Jugendliche in die Vorbereitung eingebunden. Zur Randale gab es wieder eine attraktive Alternative – sich mit dem Verkauf von Cola und Bier ein paar Euro dazuzuverdienen.

Dass der Kreuzberger Mai auch die Politik wiederentdeckt hat, zeigte die Mayday-Parade. Auf ihr machten 8.000 Menschen gegen die zunehmende „Prekarisierung“ der Lebenswelt aufmerksam. Die Parade des undogmatisch linken Spektrums war damit deutlich größer als die beiden „revolutionären“ Maidemonstrationen. Diese bezogen sich auf den Kreuzberger Kiezaufstand vor 20 Jahren – mit Parolen, die mindestens genauso alt waren. UWE RADA