USA meet the „Öko-Zeitgeist“

Die USA außerhalb des Weißen Hauses sind längst aufgewacht: Umweltbewusstsein wurde zum Mainstream-Lifestyle, mehr und mehr Städte bekennen sich zum Kioto-Protokoll. Auch New York wird nun unter Bürgermeister Bloomberg durchökologisiert

Kurz nachdem sich George Bush 2005 geweigert hatte, das Kioto-Protokoll zu unterzeichnen, startete Greg Nickels, der Bürgermeister von Seattle, eine Initiative amerikanischer Städte, auch ohne die Bundesregierung die Kioto-Vorgaben für Treibhausgasemissionen zu erfüllen. Bislang haben sich 435 amerikanische Gemeinden der Initiative angeschlossen. Die ehrgeizigste Kommune ist sicherlich San Francisco, dessen Umweltbehörde 70 Angestellte umfasst und jährlich 20 Millionen zur Verfügung hat. New York will mit seinem gerade vorgestellten Plan San Francisco noch übertreffen: Bürgermeister Bloomberg plant, jährlich bis zu 100 Millionen Dollar für die Ökologisierung seiner Stadt auszugeben. Die Maßnahmen der Städte umfassen ökonomischere Straßenbeleuchtung, Reduzierung des innerstädtischen Autoverkehrs sowie die Förderung energieeffizienter Architektur.

AUS NEW YORK SEBASTIAN MOLL

Es war sicherlich ein wenig dick aufgetragen, dass der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg den ehrgeizigen Plan zur Durchökologisierung seiner Stadt ausgerechnet am nationalen „Tag der Erde“ letzten Sonntag und überdies im „Museum für Naturgeschichte“ der internationalen Presse vorstellte. Aber der Bürgermeister wollte sichergehen, dass seine Botschaft auch vernommen wird. Bloomberg hat es wie viele seiner Landsleute satt, mit seinem Präsidenten in einen Topf geworfen und als skrupelloser Klimawandel-Leugner sowie hemmungsloser Luftverpester wahrgenommen zu werden. „Wir wollen der Welt beweisen, dass es sogar in unserem Land intelligentes Leben gibt“, hatte Bloombergs Kollege Greg Nickels aus Seattle kürzlich die Motivation der konzertierten Klimaschutzinitiative amerikanischer Kommunen, zu der auch der New Yorker Plan gehört, formuliert.

Bereits vor zwei Jahren brachte Nickels eine Erklärung zu Papier, in der sich amerikanische Städte entgegen der Bundespolitik zu den Richtlinien des Kioto-Protokolls bekennen. Das ursprüngliche Ziel war, dass innerhalb eines Jahres 141 Gemeinden das Abkommen unterzeichnen – so viele, wie die Anzahl der Unterzeichnerländer des Kioto-Papiers. Mittlerweile haben 435 Bürgermeister unterschrieben. Die Initiative hat sich zu einer Bewegung ausgewachsen, die George Bush beschämen würde, wäre er zu derartigen Gefühlen fähig. „Die 435 Städte umfassen 61 Millionen Menschen – das entspricht der Bevölkerung Frankreichs“, sagt Nickels stolz.

Nickels’ Behauptung, dass alle 61 Millionen Bewohner der angeschlossenen Gemeinden überzeugte Klimaschützer sind, ist sicherlich ein wenig geflunkert. Ganz aus der Luft gegriffen ist sie allerdings nicht. Denn immer mehr Amerikaner nehmen den Klimawandel ernst und verlieren auch in diesem Punkt die Geduld mit ihrer Regierung. 40 Prozent der Amerikaner sagen, dass sie angesichts der globalen Erwärmung „sehr besorgt“ seien – vor zwei Jahren waren es erst 25 Prozent. 76 Prozent der Befragten meinten in einer Umfrage der New York Times, dass ohne Verzug etwas für den Klimaschutz getan werden müsse, und 75 Prozent fanden, die Regierung müsse endlich aktiv werden. Keine Sorge um das Klima machten sich hingegen nur noch 27 Prozent: eine Zahl, die, wie der Radiomoderator und Kulturkritiker Kurt Andersen jüngst bemerkte, auffallend jenem Bevölkerungsanteil gleicht, der noch immer hinter George Bush steht.

Der Präsident ist in der Klimafrage, ebenso wie mit seinem Irakkrieg, im eigenen Land zunehmend isoliert. Lange wird er eine einschneidende Umweltgesetzgebung auch auf Bundesebene nicht mehr verhindern können. Gerade erst hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass die nationale Umweltbehörde (EPA, Environmental Protection Agency) dazu verpflichtet ist, die Treibhausgase zu reduzieren. Bush hat zwar gelobt, das Urteil zu ignorieren, doch die Gesetzesvorlagen zur Emissionsbegrenzung aus dem seit vergangenem November demokratischen Kongress werden nicht abreißen. „Es ist keine Frage mehr, dass es ein Gesetz gibt, sondern nur noch, wann“, sagt Phil Clapp, Präsident der überparteilichen Interessengruppe National Environmental Trust. „Wenn dieser Kongress keine Vorlage verabschiedet, dann wird es der nächste tun. Und wenn dieser Präsident ein solches Gesetz nicht unterschreibt, dann eben der nächste. Wir sind in der Frage über den Berg.“

Es herrscht in den USA mittlerweile ein gesunder Konsens über die Notwendigkeit des Klimaschutzes, ein „Öko-Zeitgeist“, wie Kurt Andersen mit einem treffenden Germanismus die Stimmung im Land benennt. Irgendwann in den vergangenen zwei Jahren, da sind sich die Kommentatoren einig, ist das Amerika außerhalb des Weißen Hauses aufgewacht. Schon vor dem jüngsten, alarmierenden Bericht des IPCC hatte die Wissenschaft die amerikanischen Erwärmungsleugner in die Enge getrieben, und Al Gore tat mit seinem Film ein Übriges. Hinzu kam Hurrikan „Katrina“, das „liberale Äquivalent zu den neokonservativen Behauptungen, Saddam habe etwas mit dem 11. September zu tun gehabt“, wie Kurt Andersen die Katastrophe am Golf nennt: „Eine Gelegenheit“ nämlich, „eins und eins zusammenzuzählen, die zu gut war, um sie nicht zu nutzen, auch wenn die Rechnung nie gestimmt hat.“ Zu guter Letzt, so Andersen, habe George Bush selbst den amerikanischen Mainstream in die Arme der Umweltbewegung getrieben: „Mittlerweile hat sich in Amerika der intuitive Syllogismus in den Köpfen festgesetzt, dass vermutlich das Gegenteil von allem, was Bush behauptet, wahr ist.“ Wenn Bush also sagt, es gebe keine Klimakatastrophe, dann muss es um den Planeten schlimm bestellt sein.

Die Mitte der amerikanischen Gesellschaft sorgt sich indes neuerdings auch deshalb um die Zukunft der Erde, weil die Umweltbewegung ihr Gesicht dramatisch verändert hat. An der Spitze stehen nicht mehr nur Hippies und Intellektuelle aus San Francisco und New York, sondern Figuren wie der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger. Der Hollywoodstar und Bodybuilder, der in seinem Staat das ehrgeizigste Emissionsbegrenzungsgesetz des Landes verabschiedet hat, verkörpert, wie das Nachrichtenmagazin Newsweek schrieb, die „Verbindung von Hedonismus und ökologischem Bewusstsein“. Mit Schwarzenegger ist der Umweltschutz vergleichsweise verzichtsarm und macht außerdem auch noch Spaß. Die Wasserstoffautos, die man nach Schwarzenggers Plan künftig von der kanadischen bis zur mexikanischen Grenze problemlos an jeder Ecke betanken kann, sind wohl nicht weniger cool als die Hummer, die Arnie noch immer in seiner Garage stehen hat.

Schwarzenegger verkörpert die Verquickung von Umweltbewusstsein und Lifestyle – eine Verquickung, die sich unter der kultivierten Elite des Landes schon lange durchgesetzt hat. Sogar einen Marketing-Fachbegriff gibt es für den Trend zum gehobenen grünen Konsum schon: „Lohas“ – Lifestyles of Health and Sustainability (gesunder und nachhaltiger Lebensstil). „Grüne“ Architektur und „grünes“ Design sind schick – von neuen, energieeffizienten Bürohochhäusern über die Inneneinrichtung von Luxusapartments mit natürlichen Baustoffen bis hin zu hochmodernen, teuren Klapprädern für die kurzen Wege der Dynamischen und Erfolgreichen. Die Supermarktkette für hochwertige organische Lebensmittel „Whole Foods“ wächst jährlich um 15 Prozent und macht knapp 5 Milliarden Dollar Umsatz.

Wem all das grüne Getue trotz allem noch unamerikanisch vorkommt, den dürfte das wachsende Engagement der amerikanischen Industrie für die Umwelt ins Grübeln bringen. Wie die Bürgermeister haben sich erst in diesem Januar eine Reihe von US-Konzernen mit der Umweltschutzorganisation Natural Resources Defense Council zur United States Climate Action Partnership (USCap) zusammengetan, um hinter dem Rücken von Bush die Kioto-Vorgaben zu erfüllen. Zu den Mitgliedern des Verbunds gehören unter anderem General Electric, DuPont, BP und Caterpillar. Die linke Wochenzeitschrift The Nation nannte das gesamte Projekt zwar „bestenfalls hellgrün“, fand es aber dennoch ausgesprochen bemerkenswert, dass solche „Bluechip-Firmen“ sich überhaupt an einer Klimaschutzinitiative beteiligen.

Am verwirrendsten für Linke wie für Rechte ist indes, dass sich sogar Wal-Mart den Klimaschutz auf seine Fahne geschrieben hat. „Ich dachte immer, wir sollen Wal-Mart hassen“, sagt Kurt Andersen, „weil der Konzern kleine, lokale Einzelhändler verdrängt und seine Angestellten schlecht behandelt.“ Jetzt aber hat die Megakette sich darauf festlegen lassen, ihren Energieverbrauch um 30 Prozent und ihren CO2-Ausstoß um 20 Prozent zu reduzieren. Die Verpackungen werden aus Maispolymeren hergestellt, die Lieferwagen werden ökonomischer beladen, um Fuhren einzusparen, und auf den Wühltischen gibt es Yogaanzüge aus organischer Baumwolle.

Traditionellen Umweltschützern ist das freilich alles ein wenig unheimlich. „Wir Linke sind eigentlich daran gewöhnt, dass die Mächtigen sich erst bewegen, wenn der Druck der Masse wächst“, schreibt Mark Hertsgaard in der Nation. Jetzt eile in den USA jedoch anscheinend die Machtelite den Massen voraus beziehungsweise Hand in Hand mit der Masse in dieselbe Richtung. „Es ist verführerisch, das alles mit großer Hoffnung zu betrachten“, fügt Hertsgaard mit einer Restskepsis an, die er einfach nicht zu überwinden vermag. Andererseits, schließt er, habe man vielleicht gar keine andere Wahl, als dem Ganzen einfach zu vertrauen.