Speed-Dating: Das ewige Strampeln

In "Shoppen" lädt Ralf Westhoff zum Speed-Dating. Ganz wie im Supermarkt prüft man die Ware auf Allergien und sonstige Mängel.

Die Uhr läuft: Hast du irgendwelche Allergien? Bild: Promo

Diesen Film lobt man gerne. Dabei kommt einem seine Grundidee zunächst sogar reichlich abgenudelt vor. Neun junge Frauen und neun junge Männer treffen sich zum Speed-Dating - zwei Stuhlreihen, die sich gegenüber stehen, jeweils fünf Minuten Zeit, miteinander zu reden, dann rutschen die Männer eins auf. Viel mehr passiert nicht in dem Debütfilm "Shoppen" des 1969 geborenen Regisseurs Ralf Westhoff. Das hätte eine dieser bemühten deutschen Komödien werden können. Oder aber was Kulturkritisches fürs Spätprogramm, Klagegesänge über die Einsamkeit in der Singlegesellschaft inklusive. Tatsächlich aber ist "Shoppen" ein kleiner, unbedingt sehenswerter Film über Liebeswünsche geworden.

Dass man diesem Film gerne zuschaut, hat viel mit den Schauspielern zu tun. Einige kann man bereits vom Theater, andere von Fernsehproduktionen her kennen - und sie alle strengen sich sehr an, ihren Figuren etwas Eigenes, auch Kantiges zu geben. Das spürt man beim Zusehen. Hier gibt es erfreulich wenig dramaturgisch zurechtgezimmerte Figurenbausteine. Dafür aber diese kleinen Blicke und Gesten, aus denen man sich als Zuschauer dann wie von selbst die ganze Figur zusammensetzt. So kann man in 90 Filmminuten 18 Filmfiguren kennenlernen, man kann sie auseinanderhalten, manche sympathisch, manche langweilig und manche interessant finden.

Bei alledem erweist sich Ralf Westhoff als glückliche Doppelbegabung. Als Drehbuchautor gelingt es ihm, die Quasseldramaturgie dieses Films immer wieder durch kleine Überraschungen geschickt aufzumischen. Und als Regisseur hat er ein Händchen dafür, die Momente in den Redesituationen herauszukitzeln, in denen sich etwas zeigt: eine Hoffnung oder ein Auf-dem-falschen-Fuß-erwischt-Werden, eine Verletzung oder ein inneres Aufgehen. Das Leben, Aneinandervorbeileben und, ganz vorsichtig auch das, das Sich-Finden in vielen emotionalen Mikrodramen, das inszeniert dieser Film.

Natürlich geht für die Figuren einiges schief. Frank, der freundliche Hänger, der sich in den Gesprächen nicht anstrengt, bekommt hinterher wirklich keine Telefonnummer zugeschickt; Patrick, der versierte Aufreißer, landet bei der Falschen; Mediha redet einfach immer zu viel; und Thorsten, der überkontrollierte Controller, vermasselt beinahe noch sein erstes Date. Die Einsamkeit hinter allem ist durchaus spürbar. Aber manche Gespräche verlaufen auch wieder ganz gut. Und insgesamt ist dies ein irgendwie zuversichtlicher Film. Manchmal auch ein bisschen kitschig. Das gehört dazu.

Dabei gesteht Ralf Westhoff seinen Figuren erstaunlich viel Einsicht in die Lage zu. Dass so ein Speed-Dating auch etwas Furchtbares ist, das wissen die Figuren schon selber. Sie erreichen in etwa das Niveau eines Brigitte-Dossiers, und das ist ja ziemlich hoch. Konsum der Romantik, Bindungsangst, Entfremdung der Gefühle, Selbstunsicherheit in einer Gesellschaft des Wahlzwangs - all diese Stichworte fallen, direkt ausgesprochen oder angedeutet. Aber was hilft es, scheinen sich die Figuren zu sagen, irgendwie muss man ja zusammenkommen. Und die Art der Inszenierung lässt keinen Zweifel daran, dass Ralf Westhoff ihren Unternehmungen, die Sache anzugehen, mit einer Grundsympathie zuguckt. Das Schöne ist, dass er sie auch den Zuschauern vermitteln kann.

Eine Art Utopie ist auch in den Film eingebaut. Irgendwann, nachdem man eine Weile den emotionalen Problemen und Strampeleien dieser Figuren zugeschaut hat, stellt man fest, dass hier Männer und Frauen zumindest dieselben Probleme haben und auch ungefähr ähnlich strampelnde Versuche unternehmen, mit ihnen fertig zu werden. Sollten Männer und Frauen irgendwie dann doch zueinander passen? Sollte der Geschlechterkampf irgendwie ausgeläppert sein? Dieser Film macht bei allem Gefühlsrealismus ganz nebenbei den Vorschlag, sich die Paarfindungsversuche heutiger Singles einmal unter diesem untragischen Gesichtspunkt anzuschauen. Im Film klappt das schon ganz gut. Immerhin.

"Shoppen". Von Ralf Westhoff. Mit Julia Koschitz, Anne Böger, Katharina Schubert, David Balcke u. a. Deutschland 2006, 90 Min.

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Dirk Knipphals, Jahrgang 1963, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Kiel und Hamburg. Seit 1991 Arbeit als Journalist, seit 1999 Literaturredakteur der taz. Autor des Sachbuchs "Kunst der Bruchlandung. Warum Lebenskrisen unverzichtbar sind" und des Romans "Der Wellenreiter" (beide Rowohlt.Berlin).

Dirk Knipphals, Jahrgang 1963, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Kiel und Hamburg. Seit 1991 Arbeit als Journalist, seit 1999 Literaturredakteur der taz. Autor des Sachbuchs "Kunst der Bruchlandung. Warum Lebenskrisen unverzichtbar sind" und des Romans "Der Wellenreiter" (beide Rowohlt.Berlin).

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