Eine neue Sicht auf Hartz IV

Haben die rot-grünen Reformen den Aufschwung begünstigt? Die Experten sind uneins

BERLIN taz ■ Der Aufschwung ist da – und mit ihm eine neue Debatte über den Nutzen der Hartz-Reformen. Wirtschaftsexperten und Politiker sind sich uneins, ob das Konjunkturhoch den unter Rot-Grün geänderten Gesetzen zu verdanken ist.

Für Klaus Zimmermann, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, zeigen einige der Reformen jetzt eine positive Wirkung: Die Vermittlung und Weiterbildung von Arbeitslosen seien verbessert worden. Gleichzeitig stünden Arbeitslose heute unter einem höheren Druck, einen Job anzunehmen, weil die Förderdauer auf ein Jahr verkürzt wurde. Ähnlich sieht Roland Döhrn, Chef der Konjunkturforschung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, die Lage: „Die Hartz-Reformen haben der Arbeitsverwaltung Beine gemacht. Menschen finden auch kurzfristig wieder eine Stelle. Die Zeitarbeitsbranche ist auch dank der Reformen im Aufwind“, so Döhrn zur taz. „Und: Die kürzere Bezugsdauer von Arbeitslosengeld hat den Druck erhöht, sich selbst einen Job zu suchen.“

Auch für Arbeitsforscher Ulrich Walwei haben die Reformen einen „maßgeblichen Beitrag“ zur sinkenden Arbeitslosigkeit geleistet. „Die stärkere Verbreitung von Teilzeit- und geringfügiger Beschäftigung sowie die Liberalisierung der Zeitarbeit haben die Bereitschaft der Unternehmen erhöht, Personal einzustellen.“ Geholfen hätten auch Zuschüsse zu den Lohnkosten und für Existenzgründer.

Ganz anderer Meinung ist Gustav Horn. „Die Hartz-Reformen haben den Aufschwung verzögert“, sagt der Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. „Ohne die Schwächung der Binnennachfrage 2003 bis 2005 hätte sich die Wirtschaft schon früher erholt.“ Der Druck, der durch Hartz IV auf die Arbeitslosen entstanden sei, führe zu sinkenden Löhnen, so Horn. Dadurch hätten die Menschen letztlich weniger Geld in der Tasche. Das bremse den Konsum. Allerdings: „Ist der Aufschwung erst einmal da, können die Hartz-Reformen die Beschäftigung beschleunigen, weil die Vermittlung von Arbeitslosen besser funktioniert.“

Unter den Parteien versucht vor allem die SPD, sich mit den Aufschwungs-Lorbeeren zu schmücken. Arbeitsminister Franz Müntefering sieht sich durch die guten Daten im Reformkurs bestätigt. Jetzt werde die Akzeptanz der Hartz-Reformen in der Bevölkerung – und vor allem bei der SPD-Klientel – vielleicht steigen, hofft die Führungsebene des Arbeitsministeriums. Die SPD leidet seit der Verabschiedung der Reformen an einem Mitglieder- und Wählerabfluss zur Linkspartei.

Auch die Grünen, die als Regierungspartei die Reformen mitgetragen und es sich dadurch ebenfalls mit vielen Wählern verscherzt haben, freuen sich. „Die Strukturreformen haben eine positive Auswirkung auf den Arbeitsmarkt“, sagte die wirtschaftspolitische Sprecherin Kerstin Andreae zur taz. „Die Ich-AG war ein Erfolg, die Regelungen zur Zeitarbeit wurden gelockert. Arbeitslosigkeit muss schneller gemeldet werden.“

Dirk Niebel, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP, hält hingegen die Betreuung der Arbeitslosen nach wie vor für „ineffektiv“. Neben den fast 4 Millionen Arbeitslosen würden mehr als 1,4 Millionen Menschen in Maßnahmen ohne konkrete Aussicht auf die Integration in den ersten Arbeitsmarkt geparkt, kritisiert Niebel. Seine Partei mahnt daher „die notwendige Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt“ an.

Unterdessen zeigt die Statistik der Bundesagentur für Arbeit, dass im April in fast allen Berufen mehr Menschen Arbeit fanden, als neue Arbeitslose gemeldet wurden. Nur die Jobaussichten der Seelsorger wurden schlechter. KATHARINA KOUFEN