Falsche Richtigmeldungen

Ob Regierung, internationale Truppen oder Aufständische: In Afghanistan werden die Medien von allen Seiten bedrängt. Denn objektive Berichte über die schwierige Lage des Landes will keiner

VON FRIEDERIKE BÖGE

Für afghanische Journalisten soll es künftig strafbar sein, „falsche Nachrichten“ zu verbreiten. So steht es in dem Entwurf für ein neues Mediengesetz, das derzeit im Parlament diskutiert wird. Auch die Taliban haben angekündigt, Journalisten zu bestrafen, die „falsche Informationen“ der Nato und US-geführten Koalitionstruppen veröffentlichen. Besorgt über die Verbreitung vermeintlich falscher Informationen zeigte sich vor ein paar Wochen schließlich auch ein Sprecher der US-Truppen, als er die Löschung von Bildern ziviler Opfer durch US-Soldaten rechtfertigte: „Unausgebildete Leute“ könnten „visuelle Details aufnehmen, die nicht so sind, wie sie ursprünglich waren“.

Im Konflikt zwischen Regierung, internationalen Truppen und Aufständischen geraten die afghanischen Medien immer mehr zwischen die Fronten. Überdeutlich wurde dies vor drei Wochen, als der Journalist Adschmal Nakschbandi von den Taliban geköpft wurde. Er war gemeinsam mit dem italienischen Reporter Daniele Mastrogiacomo, für den er als Übersetzer arbeitete, entführt worden. Während der Italiener im Austausch gegen fünf Talibankämpfer freikam, wurde Nakschbandis Leichnam Tage später in der Wüste gefunden. Viele Journalisten erhalten regelmäßig Drohbriefe von Taliban. Dieser Mord hat gezeigt, wie ernst sie zu nehmen sind.

Die anschließenden Demonstrationen von Journalisten richteten sich aber auch gegen die Regierung. Ihr sei das Leben eines internationalen Journalisten mehr wert als das eines afghanischen, mutmaßten viele. Die Proteste zeigen vor allem eins: Medien und Regierung stehen sich zunehmend feindselig gegenüber. Zuletzt ordnete der Generalstaatsanwalt eine Razzia beim populären TV-Sender Tolo an, bei der drei Mitarbeiter vorübergehend festgenommen wurden.

„Wir geraten von allen Seiten unter Druck“, sagt Rahimullah Samander, der Leiter der Unabhängigen Afghanischen Journalistenvereinigung. Mit dem Verweis auf nationale Sicherheitsinteressen soll nun das Mediengesetz geändert werden. Verboten werden soll etwa die Verbreitung von Berichten, die die „Stabilität, nationale Sicherheit und territoriale Integrität des Landes“ gefährden oder „die öffentliche Psyche verstören“.

Welche Berichte unter diese vagen Formulierungen fallen, soll künftig nicht mehr eine unabhängige Medienkommission entscheiden, sondern ein Gericht. Wegen jedes kleinen Fehlers, so fürchten viele Journalisten, könnten sie verurteilt werden. Denn die Justiz ist ein Bollwerk der konservativ-religiösen Kräfte, die Medienfreiheit als einen Import aus dem Westen betrachten. Nicht zufällig verweist der Gesetzentwurf auch auf die Wahrung islamischer Werte. Verboten werden sollen demnach Veröffentlichungen, die „dem physischen, spirituellen und moralischen Wohlergehen der Menschen, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, schaden“ könnten. Dahinter steht die Kritik der Konservativen, westliche und indische Programme seien unislamisch.

„Die Warlords wollen die Medien kontrollieren, damit sie nicht mehr über ihre Kriegsverbrechen und die Korruption berichten können“, sagt dagegen der Chef der Nachrichtenagentur Pajhwok, Danisch Karokhel. Westliche Beobachter werten das neue Mediengesetz als Indiz für ein Erstarken islamistischer Kräfte, die versuchten, den noch jungen Demokratisierungsprozess umzukehren. Sollte das Mediengesetz in der jetzigen Form verabschiedet werden, wäre dies das Ende einer der wenigen Erfolgsgeschichten der internationalen Intervention in Afghanistan: der relativ freien und pluralistischen Medien, die eine beachtliche Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung genießen.

Unterdessen kritisieren viele afghanische Journalisten auch das Verhalten internationaler Truppen. In mehreren Fällen seien Journalisten von Nato- oder Koalitionstruppen bei der Berichterstattung behindert worden, sagt der Journalist Sanjar Qiam von der Medienorganisation Internews. Zudem hätten sie viel mehr Geld als die freien Medien, um auf die Meinung der Bevölkerung einzuwirken. „Alle fünf Minuten verschicken sie eine Pressemitteilung: die Extremisten dies und die Extremisten das. Das erinnert mich an Sowjetzeiten“, sagt Qiam. Bedenklich findet er, dass die Nato und das US-Militär neben ihren eigenen Radio- und TV-Sendern zusätzlich bei freien Sendern „beträchtliche Sendezeiten“ aufkauften und so andere Programme verdrängten.

Die Sender stellt das derweil vor ein Dilemma: Einerseits sind sie in finanziellen Nöten, weil sich die internationalen Geber zunehmend aus der Medienförderung zurückziehen. Andererseits verbreiten sie aus Sicht der Taliban „falsche Informationen“ – und gefährden so ihr Leben.