Am PC schlägt München Berlin

Die Bayern machen es vor: Die Umstellung einer großen Verwaltung von Microsoft auf Linux funktioniert, läuft zudem reibungslos ab und spart Geld. Das erhöht auch den Druck auf den Senat. Doch der hält eine Komplettumstellung für Unsinn

VON MATTHIAS LOHRE

Mit Ulrich Freise möchte man derzeit nicht tauschen. Der 51-Jährige hat einen unangenehmen Job. Der halben Welt muss der IT-Staatssekretär – so etwas gibt es in der Innenverwaltung – seit einem Jahr – erklären, dass sich die Computer von Berlins Landes- und Bezirksverwaltungen nicht vollständig auf rechtefreie Software und Betriebssysteme umstellen lassen. Das ist deshalb so unangenehm, weil Freise mit seiner Haltung mittlerweile ziemlich allein dasteht. Die Zeit für einen Wechsel scheint reif.

Zwar verkündete der SPD-Mann in der gestrigen Sitzung des Kommunikationsausschusses des Abgeordnetenhauses, entgegen heftiger Kritik sei der Senat mitnichten „vernagelt“: „Wir fahren keinesfalls eine verhindernde Strategie.“ Schon heute nutzten die Landes- und Bezirksverwaltungen auch rechtefreie Software – nicht nur lizenzierte und letztlich teurere Markenprodukte von Branchenriesen wie Microsoft. Freises Dilemma ist nur: Kritikern genügt das seit langem nicht mehr.

Noch vor wenigen Jahren schien es utopisch, die Marktdominanz großer Softwarefirmen zu brechen. Frei zugängliche und nach Bedarf änderbare Software wie Linux galt vielen als unzuverlässig. Doch die Lage hat sich geändert. Selbst der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses verlangte im Dezember 2005 vom Senat einen Fahrplan zur Umstellung auf Linux. Nur ein halbes Jahr später ruderte Rot-Rot zurück: Der Parlamentsbeschluss sei „nicht umsetzbar“.

Münchens Kommunalverwaltung macht derzeit vor, dass Ähnliches sehr wohl umsetzbar ist. Für den Umbau zuständig ist Wilhelm Hoegner, ein Herr mit Schnauzbart und oberbayrischem Zungenschlag. Gestern trug er den Ausschussmitgliedern vor, wie sich die Umstellung einer Metropolenverwaltung im laufenden Betrieb bewerkstelligen lässt.

Während Staatssekretär Freise von 100 Millionen Euro sprach, die ein Umzug kosten würde, berichtete der IT-Experte aus Bayern, er werde die dortige Budgetgrenze von 35 Millionen Euro „deutlich unterschreiten“. Mehr als ein Drittel der Kosten entstünden durch Mitarbeiterschulungen, doch selbst die erwiesen sich oft als unnötig. Mache man es richtig, bemerkten viele PC-Nutzer den Wechsel kaum. Eine Umstellung von Rechnern und Software sei – ähnlich wie in Berlin – ohnehin nötig gewesen, weil die Microsoft-Produkte Windows NT 4 und Office 97 veralteten. Kosten wären also auf jeden Fall entstanden. Obendrein stärke die Nutzung der lizenzfreien Software kleinere und mittlere IT-Firmen in der Region und bundesweit. Kurzum: Es geht. Ob solcher Erfolge titelte die Wochenzeitung Die Zeit pünktlich zur Ausschusssitzung bereits „Fällt Berlin?“.

Warum die Microsoft-Bastion Berlin bislang nicht gefallen ist, begründete der sichtlich gereizte IT-Staatssekretär vor allem mit einem Zuviel an Bürokratie. Anders als in München hätten im Bundesland Berlin viele ein Wort mitzureden: die Senatsverwaltungen, der zwölfköpfige Rat der Bürgermeister und die zwölf Bezirke. „Mit der stringenten Umsetzung ist das so eine Geschichte.“

Und die Lösung? Berlins Verwaltung brauche einen charismatischen Macher, der mit Rückendeckung des Senats die Neuerung durchboxt, forderte der Informatik-Professor Bernd Lutterbeck. Den Experten der Technischen Universität hatten die Grünen zur Anhörung gebeten. Mit dem „charismatischen Macher“ meinte Lutterbeck offensichtlich nicht Staatssekretär Freise. Der atmete bei diesen Worten heftig in seine flache Hand. Mit Ulrich Freise möchte man derzeit wirklich nicht tauschen.