„Ich riskiere schlechte Überschriften“

Jahrgang: 1975 Heimat: Rhede, Münsterland Beruf: Rechtsanwalt Politik: Wüst ist ein Kind der Kohl-Ära. Auf seiner Internetseite posiert er auf einem Foto neben dem CDU-Altkanzler. 1990 trat Wüst der Jungen Union bei, seit 1992 ist er CDU-Mitglied Karriere: Von 2000 bis November 2006 war er Landesvorsitzender der Jungen Union NRW. 2002 wurde er Beisitzer im Bundesvorstand der CDU. Seit Mai 2005 ist Wüst Landtagsabgeordneter. Ende 2005 nominierte ihn NRW-Landeschef Jürgen Rüttgers als Nachfolger von Jochen Reck zum CDU-Generalsekretär Position: Wüst zählt zum konservativ-marktliberalen CDU-Flügel. 2004 titelte Bild über „Ekel-Jobs“ für Arbeitslose. Wüst hatte zu dem Blatt gesagt: „Warum sollen Arbeitslose nicht Spielplätze sauber halten, die häufig mit Hundekot, Glasscherben und Drogenspritzen verschmutzt sind?“ Hinterher soll sich Wüst im kleinen Kreis über die Schlagzeilen gefreut haben Hobbys: Früher Messdiener und Handballer, heute Krimi-Leser und Jäger. Auf der Pirsch mit anderen CDU-Waidmännern wie Bauminister Oliver Wittke hat Wüst schon so manchen kapitalen Bock geschossen

INTERVIEW KLAUS JANSEN
UND MARTIN TEIGELER

taz: Herr Wüst, Sie gehen gerne auf die Jagd. Wie können Sie da etwas gegen Killerspiele haben?

Hendrik Wüst: Ich habe mit 16 Jahren meinen Jagdschein gemacht, in einer Zeit, in der von Killerspielen noch niemand geredet hat. Und ich mache auch heute noch einen deutlichen Unterschied dazwischen, ob jemand Spaß daran hat, auf Leute zu schießen – oder ob er im Wald einen Abschuss tätigt.

Macht es Ihnen Spaß, abzudrücken?

Wir könnten jetzt sicher lange über den forstwirtschaftlichen Nutzen der Jagd oder das Naturerlebnis reden. Aber ja: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass das Beute machen bei der Jagd keinen Spaß macht – auch wenn ich selbst keinen opulenten Trophäenschrank habe.

Versuchen wir es anders: Hatten Sie mit 16 einen Game Boy?

Nein, hatte ich nicht. Aber nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Ich habe prinzipiell nichts gegen Computerspiele.

Auf Ihrem CDU-Landesparteitag am Wochenende in Siegburg wollen Sie ein Verbot von Ballerspielen ins Parteiprogramm schreiben.

Ja. Bei einigen Killerspielen haben wir mittlerweile einen Punkt erreicht, an dem man Eltern dabei helfen sollte, ihre Kinder davor zu schützen.

Sie wollen Jugendliche auch vor Alkohol, Drogen und „sexueller Verwahrlosung“ schützen. Sind Sie ein ängstlicher Mensch?

Weiß ich nicht. Aber es gibt für viele Menschen immer mehr Ecken, in denen sie sich nicht wohl fühlen und auch Angst haben. Das ist meist ein subjektives Empfinden. Wir wollen solche Angst-Räume nicht mehr dulden.

Wann haben Sie sich zuletzt subjektiv in einem Angst-Raum gefürchtet?

Im Angstraum Auto, als ich zu spät gebremst habe. Ist aber alles gut gegangen.

Ist es Ihre Form von Gesellschaftskritik – zu sagen, dass man Angst haben muss?

Wir haben uns an vielen Stellen der Gesellschaft eine Gleichgültigkeit angewöhnt, die zu Lasten der Schwachen geht. Jugendliche können sich nicht immer schützen, zumindest wenn Sie von ihren Eltern keinen verantwortungsvollen Umgang mit Dingen wie Killerspielen und Gewalt-Fernsehen gelernt haben.

Also war es ein Fehler der CDU, in den 80ern Privatfernsehen zugelassen zu haben?

Diese Frage habe ich mir auch oft gestellt. Natürlich will ich nicht nur Staatsfernsehen – aber ich finde es nicht gut, wenn Kinder nach dem Mittagessen in Gerichtsshows Einspielfilme über Vergewaltigungen und ähnliches zu sehen bekommen. Wir sollten uns zumindest überlegen, ob man solche Dinge nicht wieder in den Abend verschiebt – dorthin, wo sie früher zu Recht waren.

Sind die Programmanträge für den Parteitag absichtlich besonders konservativ formuliert worden?

Ich würde mir wünschen, dass alle Parteien so denken wie wir. Aber wenn wir mit unseren Vorschlägen den einen oder anderen besonders konservativen Wähler abholen, nehme ich das gerne mit.

Ist es konservativ, Familien die Kinder wegzunehmen, um sie in ein Erziehungscamp zu stecken?

Das ist sicher nicht die traditionelle CDU-Politik. Aber wir müssen einsehen, dass heute viele Familien überfordert sind. Da muss sich auch ein Konservativer fragen, ob er den Wert der Familie in jedem Einzelfall über alles stellt. Ich bin dafür, dass der Staat sich auch kümmert – notfalls auch mit Zwang.

„Das ist sicher nicht die traditionelle CDU-Politik. Ich bin dafür, dass der Staat sich um Familien kümmert – notfalls auch mit Zwang.“

Der konservative Schwerpunkt: Ist das Ihr persönliches Anliegen in der nordrhein-westfälischen CDU?

Ich habe das Thema Innere Sicherheit und hier die Bekämpfung der Jugendgewalt ganz bewusst gesetzt. Insofern ist es mein Projekt.

Ist das nicht ein ganz altes Spiel: Ein junger Politiker macht Karriere in der CDU, steigt schnell auf und versucht dann, sich mit Law-and-Order-Themen zu profilieren?

Über die Rasanz meiner Karriere kann man viel philosophieren, da gab es sicher auch Atempausen. Es gibt kein Handbuch für Generalsekretäre.

Da hätte bestimmt auch nicht dringestanden, dass man Arbeitslose dazu auffordern sollte, Hundekot, Drogenspritzen und Glasscherben auf Kinderspielplätzen aufzusammeln. Trotzdem sind Sie mit dieser Forderung über die Bild-Zeitung bekannt geworden.

Ich habe mich damals gewundert, bei wie vielen Leuten ich mich damals unbeliebt gemacht habe. Die Reaktionen waren damals schon krass, dabei habe ich nur die Realität beschrieben: Ich habe nur gesagt, dass es auch einem Akademiker zuzumuten ist, einen Kinderspielplatz sauber zu machen. Erst dann kam der deskriptive Teil des Satzes. Und auf Spielplätzen liegen eben häufig Hundekot und Spritzen, daran gibt es nichts zu rütteln.

Die Zumutbarkeit gilt also auch für den von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers so umsorgten 55-Jährigen, der fast 40 Jahre lang gearbeitet hat?

Wenn es nach uns geht, bekommt der ja immerhin ein Jahr länger Arbeitslosengeld I.

Das Spritzen-Beispiel: Ist das Ausdruck Ihres Temperaments oder Ihrer Politikergeneration?

Vielleicht ist das eine Generationenfrage. Ich riskiere eben auch schon einmal eine schlechte Überschrift, wenn ich mir in der Sache sicher bin.

Unterscheidet Sie das vom eher langsamen Rüttgers?

Ich finde ihn nicht langsam. Fragen Sie mal, was im Moment an den Schulen los ist. Die erzählen Ihnen etwas anderes, was unser Tempo angeht.

Trotzdem ist Rüttgers langsamer und weniger polarisierend als etwa Friedrich Merz.

Er ist Regierungschef. Er muss den Laden zusammenhalten.

Wer ist eher ein Vorbild: Der vorsichtige Rüttgers oder der wilde Merz?

Die beiden eint mehr, als man meint. Und man kann von beiden etwas lernen.

Mit 31 Jahren ist Hendrik Wüst der Generalsekretär des größten CDU-Landesverbandes. Auf seiner Homepage posiert der Münsterländer mit Schweinen und Mettwürsten. Er sagt, dass er als Kind schon konservativ war. Jetzt will der Hobbyjäger Pornos und Killerspiele bekämpfen.

Zum Beispiel?

Von Merz kann ein junger Politiker lernen, pointiert zu reden und seinen Standpunkt klar zu machen. Und von Rüttgers kann man lernen, dass zu Politik mehr gehört als Pragmatismus. Er kann den Dingen eine Idee geben, einen Überbau. Deshalb kann er die Leute mitnehmen.

Was ist der Überbau?

Im Fall von unseren Vorschlägen zum Arbeitslosengeld geht es darum, Eigenverantwortung zu stärken. Wer das will, kann den Leuten im Fall der Arbeitslosigkeit nicht ihre Vorsorge wegnehmen – zumal es in Zukunft kaum noch stete Arbeitsbiografien geben wird. Da kann es passieren, dass jemand auch mal länger als 13 Monate arbeitslos ist.

Sie wären aber nicht auf die Idee gekommen, das Thema in der Sommerpause nach vorne zu bringen, oder?

Ich war überrascht, wie intensiv der Ministerpräsident in seinem Urlaub arbeitet.

Mittlerweile sind Rüttgers‘ Vorschläge zur Hartz-Generalrevision tot.

Nein. Die stehen jetzt sogar im Grundsatzprogrammentwurf der CDU.

Rüttgers selbst plant keine Bundesratsinitiative für ein längeres Arbeitslosengeld I.

Wenn Franz Müntefering das in der großen Koalition in Berlin nicht will, macht es keinen Sinn, da jedes Mal vor die Pumpe zu laufen.

Sie sind 30 Jahre jünger als viele Parteifreunde. Worüber unterhalten Sie sich mit Rüttgers nach dem Wochenende? Über die Party vom Samstag?

Ich glaube nicht, dass Jürgen Rüttgers Interesse an meinem Samstagabend hat. Aber ich will zurückweisen, dass wir in der CDU nur über 60-Jährige haben. Im Gegenteil: Wir haben die jüngsten Funktionsträger.

Vorstandswahlen und ein wenig Profilbildung – das ist das Programm des CDU-Landesparteitags an diesem Samstag in Siegburg. Die 672 Delegierten der Regierungspartei tagen in der Stadt des jüngsten Knastmords, um ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen. Der Leitantrag des CDU-Landesvorstands für ein härteres Durchgreifen gegen junge Straftäter hat bereits zu Streitigkeiten in der schwarz-gelben Koalition geführt (taz berichtete). Ministerpräsident Jürgen Rüttgers kandidiert wieder als CDU-Landeschef – beim letzten Parteitag 2005 hatte er fast 95 Prozent bekommen.

Und mit denen reden Sie über Ihre Lieblingsmusik?

Meine Plattensammlung ist seit einigen Jahren nicht mehr gewachsen.

Was war das letzte, das Sie sich gekauft haben?

Ich habe vor kurzem eine Höhner-CD geschenkt bekommen.

Und davor? Nirvana oder Modern Talking?

Aaah. Nee. Modern Talking bestimmt nicht. Nirvana hab ich schon manchmal gehört. Und viel Queen.

Die hört Unions-Bundestagsfraktionschef Volker Kauder auch gerne. Wechseln Sie etwa bald nach Berlin?

Nee, in Berlin habe ich schon gearbeitet. Düsseldorf ist schön. Eine Kandidatur für den Bundestag schließe ich aus.