Polizei will private Kameras nutzen

Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech ließ einen „Videoatlas“ erstellen. Das Verzeichnis listet über 4.000 private Überwachungskameras auf. Sie sollen bei Bedarf auch von der Polizei verwendet werden – soweit dies technisch machbar ist

„Nach einem Anschlag wissen wir jetzt sofort, welche Kameras wir auswerten können“

VON CHRISTIAN RATH

Als wohl erstes Bundesland hat Baden-Württemberg einen Videoatlas erstellt, der die wichtigsten privaten Videokameras auflistet. 4.202 Kameras an und in 536 Objekten hat die Polizei im Auftrag von Innenminister Heribert Rech (CDU) gezählt. Rech will die privaten Kameras bei Bedarf auch für Polizeianliegen nutzen. Derzeit aber sind Big-Brother-Pläne technisch noch nicht umsetzbar.

„Ich will die schon installierten Kameras und Anlagen für polizeiliche Zwecke nutzen und mich im Bedarfsfall aufschalten“, hatte Rech im letzten Herbst gesagt. Er sprach dabei von Banken, Tankstellen und Einkaufszentren. Peter Zimmermann, der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte, war alarmiert: „Schon der Begriff Videoatlas wirkt verheerend, weil er suggeriert, dass die polizeiliche Videoüberwachung je nach Bedarf und an nahezu jedwedem Ort möglich werden soll.“

Tatsächlich kam es nun anders, als von Rech einst vollmundig angekündigt. „Wir haben uns auf Orte konzentriert, an denen nach den bisherigen Erfahrungen am ehesten mit islamistischen Terroranschlägen zu rechnen ist“, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums gestern zur taz. Diese konzentrierte sich auf drei Gruppen von Objekten: erstens Verkehrsanlagen wie Bahnhöfe, U-Bahnen und Flughäfen, zweitens Versorgungseinrichtungen wie Kraftwerke und Wasserwerke und drittens Orte wie Stadien, Konzert- und Messehallen, an denen sich oft große Menschenmengen ansammeln. Die Überwachungsanlagen von Banken, Tankstellen und Einkaufszentren wurden von der Polizei nun doch nicht erfasst.

Der Sinneswandel dürfte verschiedene Gründe haben. Zum einen hat Justizminister Ulrich Goll vom Koalitionspartner FDP klargemacht, dass ihm die Pläne zu weit gehen. „Die flächendeckende Möglichkeit, dass sich die Polizei auf private Kameras aufschaltet, lehnen wir ab“, sagte sein Sprecher zur taz. Außerdem ist das „Aufschalten“ gar nicht so einfach. Die meisten Videoanlagen bestehen aus geschlossenen Kreisläufen, die Polizei müsste also Standleitungen legen, um mitbeobachten zu können oder sie müsste Beamte in die jeweilige Überwachungszentrale schicken. Beides wäre wohl zu teuer.

Landespolizeidirektor Erwin Hetger will den neuen Videoatlas deshalb vor allem als Hilfe bei der Strafverfolgung einsetzen. Hier darf die Polizei schon heute Videoaufzeichnungen als Beweismittel beschlagnahmen. „Nach einem Anschlag in der U-Bahn wissen wir jetzt sofort, welche Kameras wir auswerten können. Da dürfen wir keine Minute verlieren“, argumentiert Hetger. Zeitaufwändig ist allerdings weniger die Identifizierung der Kameras als die Auswertung der Bänder. Nach dem Kofferbomben-Anschlag in NRW dauerte es viele Tage, bis es Bilder der mutmaßlichen Täter aus dem Kölner Hauptbahnhof gab.

Im Sommer will die Landesregierung das baden-württembergische Polizeigesetz novellieren. Ein Thema ist dabei auch die Videoüberwachung. Bisher darf die Polizei nur an Kriminalitäts-schwerpunkten mit eigenen Kameras überwachen. Im ganzen Land sind derzeit nur acht derartige Kameras im Einsatz, alle in Mannheim. Innenminister Rech will nun auch Polizeikameras für große Menschenansammlungen einsetzen, die Ziele von Terroristen werden könnten. Er denkt etwa an die Public Viewings bei der Fußball-WM. Hierbei könnte auch geregelt werden, so Polizeipräsident Hetger, dass die Polizei statt eigener Kameras auch fremde Überwachungsanlagen nutzen kann. Schwaben sind schließlich sparsam.

Richtig interessant werden die privaten Kameras aber erst, wenn es voll funktionsfähige Gesichtserkennungs-Software gibt. Das Gesicht einer gesuchten Person könnte dann eingescannt werden und wenn sie im Bahnhof oder im Fußballstadion eine Überwachungskamera passiert, sofort identifiziert werden. Ein noch nicht ausgewerteter Modellversuch des Bundeskriminalamts im Mainzer Hauptbahnhof hat derartige Techniken bereits erprobt. „Solchen Ansätzen stehe ich sehr positiv gegenüber“, sagt Stuttgarts Polizeipräsident Hetger, „allerdings darf es dann keine Falschtreffer mehr geben, das heißt, die Technik muss 100-prozentig funktionieren.“ Im Moment dürfte das zwar noch Zukunftsmusik sein – aber wohl nicht mehr lange.