„Koordinierungsrat ist verlogen“

Statt um Religion gehe es dem neuen Bündnis vor allem um politische Ideologie, kritisiert Ali Toprak, Generalsekretär der liberalen Alevitischen Gemeinde Deutschland

ALI ERTAN TOPRAK, 38 Jahre alt, hat Rechts- und Sozialwissenschaften studiert. Er sitzt für die Grünen im Stadtrat von Recklinghausen. Außerdem ist Toprak Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschland (AABF), die als Dachverband bundesweit etwa 110 alevitische Gemeinden vertritt.

taz: Herr Toprak, in dieser Woche konnte die Islamkonferenz als bisher einziges Ergebnis verkünden: Wir machen weiter. Ist das nicht ein bisschen mager?

Ali Toprak: Ganze 40 Jahre hat man nicht miteinander geredet. Deswegen brauchen wir Zeit, um auch untereinander Vorurteile, Misstrauen und Diskriminierung abzubauen.

Es gibt auch unter den Muslimen Vorurteile?

Das ist ein Punkt, von dem die deutsche Öffentlichkeit kaum etwas weiß. Auch in der muslimischen Gemeinde gibt es sehr unterschiedliche Strömungen. Wir Aleviten kämpfen seit Jahrhunderten gegen Diskriminierung und Ausgrenzung im islamischen Kulturraum. Über diese Situation und die Diskriminierung der Aleviten und der anderen religiösen Minderheiten sind die islamischen Verbände in Deutschland ausreichend informiert. Doch wenn es darum geht, die gleiche Religionsfreiheit, die sie in Deutschland genießen wollen, auch für Aleviten und andere Glaubensgemeinschaften in der Türkei einzufordern und diese offen zu unterstützen, schweigen diese Organisationen und ihre Mitglieder.

Sie müssen aber in der Islamkonferenz mit dem neu gegründeten Koordinationsrat der Muslime in Deutschland zusammenarbeiten. Gibt es große Meinungsverschiedenheiten?

Ja, denn wir Aleviten werden vom Koordinierungsrat als nicht koscher angesehen, weil wir eine andere religiöse Auslegung, eine andere Theologie vertreten als die Sunniten und Schiiten. Deswegen wollen einige Teilnehmer nicht, dass wir für die Muslime sprechen. Vorneweg der Vertreter des Islamrats, Herr Kizilkaya. Er und der Koordinierungsrat sollen sich entspannen. Wir vertreten nur die Interessen der Aleviten. Aber es ist interessant, dass Herr Kizilkaya und die im Koordinierungsrat vertretenen Verbände die große Anzahl der Aleviten zu der Zahl der Muslime immer dann dazurechnen, wenn es ihnen passt. Nämlich um die Anzahl der Muslime in Deutschland so groß wie möglich darzustellen. Daran zeigt sich, wie verlogen der Koordinierungsrat ist.

Gibt es weitere Beispiele für diese Verlogenheit, wie Sie es nennen?

Erst unmittelbar vor dem Beginn der Pressekonferenz hat Innenminister Wolfgang Schäuble bekanntgegeben, wer mit ihm auf das öffentliche Podium darf. Daraufhin hat Herr Kizilkaya dagegen protestiert, dass ich auch dabei bin. Sein Hauptargument ist, dass ich als Vertreter der Aleviten nicht für Muslime sprechen dürfe. Er und die anderen Herren des Koordinierungsrats haben auch im Fahrstuhl und auf dem Weg zur Pressekonferenz keine Ruhe gegeben. Sie haben allen Ernstes versucht, mir zwischen Tür und Angel ein Glaubensbekenntnis zum Islam abzuverlangen. Wer keinen Respekt gegenüber anderen Religionsgemeinschaften zeigt, verdient selbst keinen Respekt und keine Anerkennung.

Aber das ist doch einer der Streitpunkte bei der Islamkonferenz: Wer darf für die Muslime sprechen? Bisher kann das niemand für sich beanspruchen – weder Sie noch Herr Kizilkaya.

Das ist ja gerade das Lächerliche. Denn auch er vertritt mit dem Islamrat und dem Koordinierungsrat nur eine Minderheit der Muslime in Deutschland. Aber im Vergleich zu Herrn Kizilkaya und dem Koordinierungsrat behaupte ich zumindest nicht, dass ich für alle Muslime spreche.

Entschuldigen Sie, aber worum geht es hier eigentlich genau? Können die Aleviten die Konservativen nicht einfach akzeptieren, wie sie sind – und umgekehrt genauso?

Es geht nicht um Eifersüchteleien, es geht hier um ideologische und politische Angelegenheiten. Denn der Koordinierungsrat ist ein politisches Bündnis, das von der türkischen Regierung und deren islamistischen Verbündeten beherrscht wird. Es wäre gefährlich, ihnen die alleinige Vertretung aller Muslime in Deutschland zu überlassen.

Übertreiben Sie nicht?

Nein, mein Einwand gegen den Koordinationsrat ist, dass er eher politisch-islamische Ideologien vertritt, als dass er eine Religionsgemeinschaft darstellen könnte. Hier ist eine von der Türkei kontrollierte Organisation, die Ditib, mit drei anderen, teilweise islamistischen Organisationen zusammengekommen. Und dieser illustre Bund soll in Deutschland für alle Muslime sprechen dürfen? Wollen wir das wirklich? Diese Frage stelle ich besonders manchem naiven Kommentator und Politiker, der diese Wirklichkeit nicht sehen will – auch in linken Parteien.INTERVIEW: CIGDEM AKYOL