Jagd auf Kinderpornos wird Privatsache

Polizeiliche Ermittlungen gegen Kinderpornografie drohen in Zeiten des Breitband-Internets an der schieren Datenmasse zu scheitern. Das Landeskriminalamt beauftragt jetzt sogar private Firmen mit der Auswertung beschlagnahmter Festplatten

Unter Kinderpornografie versteht man die Darstellung von sexuellem Missbrauch von Kindern bis zu 14 Jahren. Sie unterliegt in Deutschland seit 2005 einem Totalverbot. Strafbar sind seither Besitz, Erwerb oder Verkauf, Anbieten und Bewerben, aber auch das Herunterladen aus dem Internet und das Betrachten. Es drohen Freiheitsstrafen zwischen drei Monaten und fünf Jahren, bandenmäßigen Anbietern bis zu 10 Jahren. Nicht strafbar ist das „Posing“, etwa Bilder von nackten Kindern am Strand. Dazwischen gibt es eine juristische Grauzone: Hier bedarf es der Beurteilung durch kriminalistische ExpertInnen.

Die Berliner Polizei stößt bei der Ermittlung gegen Kinderpornografie an ihre Grenzen. „Die Arbeit läuft uns über“, sagt Heinz Jankowiak, Chef der Abteilung 1 beim Landeskriminalamt (LKA). Dabei klingt die Zahl der Durchsuchungen bei Verdächtigen eher harmlos: Nur 247 waren es im Jahr 2006. Dahinter verbergen sich jedoch 780 Computerfestplatten mit rund 50.000 – oft verschlüsselten – Datensätzen. Die müssen geknackt und anschließend auf strafrechtliche Relevanz geprüft werden.

Das Breitbandinternet hat den Tätern einen anhaltenden Boom beschert. „Wer früher 100 Bilder hatte, hat heute 8 Gigabyte“, benennt Jankowiak das Problem. Das zuständige Kommissariat kommt kaum noch mit. Dabei surfen die 20 ErmittlerInnen nicht mal selbst in den einschlägigen Internetforen, die Kinderpornografie anbieten. Ihre Fälle sind Zufallsfunde, die bei Ermittlungen in ganz anderen Fällen gemacht werden, kommen durch Informationen anderer Behörden oder durch private Anzeigen. Jeder Täter führt zu weiteren Tatverdächtigen.

So ist das LKA vor kurzem auf einen Fall aufmerksam geworden der sich immer weiter auswächst. Auf die offizielle Homepage eines Berliner Großunternehmens hatte ein Hacker unbemerkt kinderpornografisches Material geschmuggelt und angeboten. Die Website wurde geschlossen, doch auch in der kurzen Zeit ihres Bestehens hatte sie regen Zuspruch. Gegen mehrere hundert Konsumenten aus mehreren Bundesländern wird ermittelt. Für Berlin ein Megafall. Was also tun? Natürlich hat das LKA auch Spezialisten für Internetdelikte. Doch die sind jetzt schon in rund 65 Prozent ihrer Arbeitszeit mit der technischen Erstbearbeitung von kinderpornografischem Verdachtsmaterial beschäftigt. Andere Verfahren, etwa im Bereich der Wirtschaftskriminalität, geraten da ins Hintertreffen.

Und auch bei Kinderpornografie kann es im Extremfall anderthalb Jahren dauern, bis die Staatsanwaltschaft Anklage erheben kann. Daher läuft in Berlin seit einigen Monaten ein Testprojekt: Mit der technischen Erstauswertung beschlagnahmter Festplatten werden nun auch zwei private Firmen beauftragt, deren Mitarbeiter entsprechend geschult wurden. Für die weitere strafrechtliche Beurteilung bleibt das LKA zuständig. Bei DNA- oder Drogenanalysen wird zum Teil ähnlich verfahren, auch Dolmetscher müssen eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Übernommen hat man das System von Bayern, wo es schon länger besteht. Rechtlich gibt es also keine Probleme – die fangen erst bei der Finanzierung an: Wer zahlt für die Gutachten? Die Polizei, die Justiz oder der Täter? Dass verurteilte Straftäter für Gutachten aufkommen müssen, ist nicht unüblich. Ob hier etwas zu holen ist, ist eine andere Frage. Die Verbreitung von Kinderpornografie zieht sich durch alle Schichten. Geld spielt eher selten eine Rolle, meist wird getauscht.

Nicht von ungefähr erregte die „Operation Mikado“ des Bundeskriminalamts im Januar Aufsehen. Erstmals wurden dabei rund 22 Millionen deutsche Kreditkarteninhaber überprüft, 322 Verdächtige blieben hängen. Und weil es immer gleich eine Kette ohne Ende ist, überlegt Innensenator Ehrhart Körting (SPD), ob es nicht reichen könnte, jemandem 20 oder 40 Fälle gerichtsfest nachzuweisen, statt alles bis ins Letzte auszuwerten. Doch ein solches Vorgehen wäre rechtlich heikel – jeder Anwalt riebe sich die Hände. Heinz Jankowiak allerdings unterstützt den Senator: „Sonst müssen wir irgendwann kapitulieren.“ Er hält auch nichts davon, das Personal der LKA-Gruppe aufzustocken: Dann müsse er auch nach kurzer Zeit wieder „Land unter“ melden. Mehr Durchsuchungen bringen mehr Verdächtige, ein Teufelskreis. Und noch etwas quält Jankowiak und seine MitarbeiterInnen: „Für die Kinder können wir gar nichts tun“.

OTTO DIEDERICHS