„Diese Kampagne ist unmenschlich“

Mit ihrer Kampagne gegen Susanne Albrecht greifen CDU und Bildzeitung den Rechtsstaat an, sagt Daniel Cohn-Bendit

DANIEL „DANY“ COHN-BENDIT, 61, Vorsitzender und -denker der Grünenfraktion im Europa-Parlament, hat 1968 in Paris die Mai-Revolte angeführt.

taz: Susanne Albrecht, vor 30 Jahren RAF-Mitglied, unterrichtet Migrantenkinder in Deutsch. In Bremen ist das ein Skandal…

Daniel Cohn-Bendit: Erst einmal ist das ein Skandal der CDU.

Die sagt: Die Menschen auf der Straße verstehen nicht, dass Ex-Terroristen ihre Kinder unterrichten können.

Das sagt die Bildzeitung auch. Wer das sagt, sagt damit: Wir müssen den Rechtsstaat abschaffen, das Recht auf Resozialisierung. Dürfte Susanne Albrechts Sohn bei Werder Bremen spielen? Dürfte er Werder zum Titel verhelfen? Dürften 40.000 Menschen darüber jubeln? Das ist doch gaga.

Wie gehen andere Länder mit dem Thema um?

Unterschiedlich. Es gibt da in Brasilien zwei Männer, die Terroristen waren und während des Junta-Regimes den amerikanischen Botschafter entführt haben. Der eine ist später Umwelt-Dezernent in Rio geworden, der andere ist Abgeordneter und war eine Zeit lang Staatssekretär. So geht man in Lateinamerika damit um.

Und in Europa?

In Italien gibt es verurteilte Linksradikale, die heute Professoren an einer Universität sind. Aber es ist eigentlich egal, wie andere Länder damit umgehen. Es gibt in Deutschland eine Gesetzeslage, die sagt: Wenn jemand seine Strafe verbüßt hat, ist er oder sie ein freier Bürger und soll sich wieder integrieren in die Gesellschaft. Und integriert werden. Wenn jemand zwölf Jahre irgendwo arbeitet wie Susanne Albrecht und alle sind zufrieden, dann ist es eine menschliche Sauerei, die an den Pranger zu stellen. Man stellt sie wieder dahin, wo sie nicht mehr stehen will. Ich möchte mir nicht vorstellen, was das für sie und ihren Sohn bedeutet, nachdem sie es doch offenbar geschafft hat, ein neues Leben zu beginnen. Sie sind bereit, für eine Agit-Prop-Nummer, einen Menschen fertig zu machen. Diese Kampagne ist unmenschlich.

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