HORST KÖHLERS BESUCH BEI KLAR ZEUGT VON VERANTWORTUNG
: Dem Druck widerstanden

Es ist ein richtiger Schritt: Horst Köhler macht sich ein eigenes Bild von der Person Christian Klar. Das zeigt, dass der Bundespräsident eine eigene und unabhängige Entscheidung zu treffen gedenkt. Eine Entscheidung, die er fernab von dem politischen Druck treffen will, den gegenwärtig vor allem CSU-Chef Edmund Stoiber und der baden-württembergische Justizminister Ulrich Goll aufzubauen versuchen.

Die Haltung dieser beiden hat jüngst der CSU-Generalsekretär Markus Söder auf die denkbar knappste Formel gebracht: Kernanliegen der Konservativen sei es, so Söder, dass Terroristen, die keine Reue zeigen, nicht vorzeitig entlassen würden. Mit anderen Worten: Keine Gnade für die Gnadenlosen. Ein alttestamentarisches „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ als Kernanliegen? Man muss Söder geradezu dankbar sein, dass er so klar ausspricht, wie er den Kampf um die Deutungshoheit an Deutschlands Stammtischen gewinnen möchte.

Dabei macht es sich Horst Köhler wirklich nicht leicht mit der Frage, ob er das frühere RAF-Mitglied nach 24 Jahren Haft nun begnadigen soll oder nicht. Seit Monaten steht das Gnadengesuch weit oben auf seiner Tagesordnung. Köhler hat mit Angehörigen der Opfer der RAF gesprochen, er hat seine Amtsvorgänger hinzugezogen – und als früherer Chef des Internationalen Währungsfonds weiß er nun wirklich um die Schrecken, ein mögliches Ziel von Terroristen zu sein. Wie auch immer sich Köhler in der kommenden Woche entscheidet: Sein Besuch beim Häftling Klar zeigt, wie verantwortungsbewusst der Bundespräsident mit der Frage einer Begnadigung umgeht.

Seit 1988 sind acht der früheren Mitglieder der RAF begnadigt worden – und das auch schon zu Zeiten, bevor die selbsternannte Stadtguerilla den bewaffneten Kampf einstellte. Zuständig waren damals der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel und die Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und Johannes Rau. Bis auf Letzteren waren sie Mitglieder der CDU – und allesamt standen sie zu keinem Zeitpunkt unter Verdacht, die Belange der inneren Sicherheit zu vernachlässigen. So viel zum „Kernanliegen“ der Konservativen. WOLFGANG GAST