„Sarkozy hat bei den Alten gewonnen“

Der grüne Fraktionsvorsitzende im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, hält den neuen Präsidenten Frankreichs für unberechenbar und meint zugleich, dass dieser ohne die Pariser Mairevolution nie Präsident geworden wäre

Der grüne Europaabgeordnete DANIEL COHN-BENDIT, 62, war einer der Aktivisten der Pariser Revolution 1968.

taz: Herr Cohn-Bendit, der neue französische Präsident sieht Frankreich zurück in Europa. Ist das so?

Daniel Cohn-Bendit: Das Problem mit Sarkozy ist, dass er so unberechenbar ist. Nehmen wir mal das Beste an …

Warum nicht …

Genau. Dann orientiere ich mich an seinem Europaberater, dem EU-Abgeordneten Alain Lamassoure. Der sagt mir, der von Sarkozy angekündigte Minivertrag nimmt alles auf, was in der EU-Verfassung neu ist. Sogar ein Querverweis auf die Grundrechtscharta wäre drin. Unter der Formel „Nizza plus“ gäbe es dennoch die Möglichkeit, auf einen Volksentscheid in Frankreich zu verzichten. Das sagt mir Lamassoure. Aber ist es auch das, was Sarkozy meint?

Gibt es denn Anlass, daran zu zweifeln?

Der jetzige Vorsitzende des Rechnungshofs, Philippe Seguin, wird als Außenminister gehandelt. Wenn das stimmt, haben wir einen Euroskeptiker als Außenminister. Der frühere Außenminister unter Jospin, Hubert Védrine, ist auch im Gespräch – ebenfalls kein ausgewiesener Europäer. Das spricht für eine Reduzierung der europäischen Ansprüche. Sarkozy will ein stärkeres Frankreich in und außerhalb Europas, mit oder ohne Europa.

Europa als Projektionsfläche für ein neu erstarktes Frankreich?

Frankreich zuerst. Was hat ihn geritten, im Wahlkampf plötzlich zu sagen, wir sind nicht das Land, das die Endlösung erfunden hat? Mit bestimmten antideutschen Effekten wollte er den nationalen Rand mobilisieren. Er hat gewonnen bei den Alten – da hat er 70 Prozent abgeholt. Er benutzt alles, was ihm dienen kann, auch Europa. Der neue Präsident der Republik hat ein instrumentelles Verhältnis zu Europa.

Das war bei Chirac auch so …

Wir sind nicht schlechter dran, aber auch nicht besser. Royal ist eher in ein proeuropäisches Umfeld eingebettet. Das Umfeld von Sarkozy ist gespaltener. Lamassoure und der ehemalige Außenminister Barnier sind absolute Proeuropäer. Aber welcher Berater welches Gewicht hat, weiß niemand.

Wie geht es im deutsch-französischen Verhältnis weiter? Wird Sarkozy Angela Merkel Konkurrenz machen als neuer Star am europäischen Himmel?

Sarkozy ist nicht fähig, mit irgendjemandem irgendetwas zu teilen. Er wird sich nicht der Führungsrolle einer europäischen Politikerin unterordnen – und schon gar nicht einer Deutschen. Nur wenn er das Gefühl hat, dass er Merkel braucht, wird es funktionieren.

Bei der Klimapolitik zum Beispiel?

Genau. Aber er ist natürlich die Speerspitze der Atomlobby.

Da gibt es doch schon gemeinsame Interessen …

Wenn beide schlau sind, können sie arbeitsteilig auftreten. Er entwickelt die Atomenergie, die sie haben will. Sie fördert die Erneuerbaren, die er auch übernimmt. Wenn sie beide das Gefühl haben, dass sie sich gegenseitig brauchen, dann kann es ein explosives Paar werden.

Eine private Frage zum Schluss. Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen, das Ende der 68er-Ära in Frankreich sei gekommen?

Sarkozy ist zweimal geschieden. Unter de Gaulle wäre ein geschiedener Politiker nicht mal Minister geworden. Ohne die Kulturrevolution von 68 hätte weder Royal noch Sarkozy über eine Kandidatur nachdenken können. Die Sprüche gegen 68 waren der Zement, den er gebraucht hat, um die äußerste Rechte und Teile der bürgerlichen Rechten aus dem Bayrou-Lager an sich zu binden.

INTERVIEW:

DANIELA WEINGÄRTNER