Desaster in Serbien

Vizechef der ultranationalistischen Partei SRS, Tomislav Nikolić, zum Parlamentspräsidenten gewählt

BELGRAD taz ■ Die monatelangen Koalitionsverhandlungen zwischen der prowestlichen Demokratischen Partei (DS), der national-konservativen Demokratischen Partei Serbiens (DSS) und der liberalen G 17 Plus endeten gestern Morgen mit einem Desaster: Statt sich auf eine europäisch orientierte Regierung zu einigen, wurde der Vizechef der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS), Tomislav Nikolić, zum Parlamentspräsidenten gewählt. Die Wahl ermöglichten die Abgeordneten der DSS von Interimspremier Vojislav Koštunica und der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS). Der Vorsitzende der SRS, Vojislav Šešelj, muss sich derzeit vor dem UN-Tribunal in den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten.

Die vierzehnstündige Parlamentsdebatte war von gegenseitigen Schuldzuweisungen der DSS und der DS von Staatspräsident Boris Tadić gekennzeichnet, wer für das Scheitern der Koalitionsverhandlungen verantwortlich sei. Die potenziellen Koalitionspartner im sogenannten demokratischen Block beschimpften sich als Lügner, Paranoiker, ausländische Söldner oder Verräter. Fassungslos warnten die DS-Abgeordneten davor, einen Mann zum Parlamentspräsidenten zu wählen, der sich für die „Befreiung serbischer Territorien“ in Kroatien einsetzt, gegen die Zusammenarbeit mit dem UN-Tribunal sowie gegen die Nato und die EU ist, weil sich dort „die erwiesenen Feinde der Serben befinden“, die Serbien das Kosovo wegnehmen wollen.

Da es schon keine Einigung über die Regierung gebe, sei es nur „logisch“, den Kandidaten der stärksten Partei zum Parlamentspräsidenten zu wählen, konterte der Fraktionschef der DSS, Miloš Aligrudić. Für die DSS sei dies eine „technische“ und keine „politische“ Entscheidung, denn in der entscheidenden Phase des diplomatischen Kampfes für das Kosovo müsse das Parlament konstituiert werden.

Kaltschnäuzig tat die DSS die Bemerkungen ab, dass die SRS Teil des Milošević-Regimes war und Nikolić den aggressiven Nationalismus, ethnische Säuberungen, Vertreibungen sowie die internationale Isolation Serbiens aus den Neunzigerjahren verkörpert. Stattdessen warfen sie der DS vor, im Auftrag des Westens Armee, Polizei und Geheimdienste usurpieren zu wollen.

Sowohl SRS als auch DSS schließen eine gemeinsame Koalition aus. Trotzdem sprechen Beobachter von einer „programmatischen“ Annäherung zwischen DSS, SRS und SPS. Bürgerliche Parteien meinen, Koštunica habe sein „wahres Gesicht“ gezeigt und sei vom „demokratischen“ ins „nationalistische“ Lager gewechselt. Eine Einging zwischen DS und DSS ist unwahrscheinlich. Wenn bis zum 14. Mai keine Regierung gebildet wird, müssen Neuwahlen ausgeschrieben werden. ANDREJ IVANJI

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