„Es kann soziale Aufstände geben“

Die französischen Gewerkschaften sind schwach, die politische Linke ist zersplittert. Doch wenn Nicolas Sarkozy als Präsident mit harter Hand regiert, wird er auf massiven Widerstand stoßen, so die Sozialistin Françoise Gaspard

FRANÇOISE GASPARD, 61, ist feministische Soziologin und Historikerin. Von 1977 bis 1983 war sie Bürgermeisterin der Provinzstadt Dreux im Nordwesten von Paris, später Abgeordnete der Sozialistischen Partei im französischen und europäischen Parlament. Heute pendelt sie zwischen Paris und New York, wo sie die UN in Frauenfragen berät. Sie ist Autorin vieler politischer Bücher (zuletzt „Le livre noir de la condition des femmes“).

taz: Frau Gasapard, warum haben die Franzosen mit Nicolas Sarkozy einen sogenannten starken Mann zum Präsidenten gewählt?

Françoise Gaspard: Nicht alle haben Sarkozy gewählt. 56 Prozent der 18- bis 25-Jährigen zum Beispiel waren für Ségolène Royal. Ob Sarkozy wirklich stark ist, kann ich nicht sagen. Er hat in seinem Wahlkampf fast alles und auch das Gegenteil versprochen.

Glauben Sie, dass Sarkozy als Präsident nun schnell zur Tat schreiten wird?

Bei der Arbeitsmarktpolitik kann es schnell gehen. Sobald er im Juni eine Mehrheit im Parlament hat.

Ist es denn sicher, dass Sarkozy die Parlamentswahlen im Juni gewinnt?

Im Allgemeinen geben die Wähler dem gewählten Präsidenten anschließend auch eine Mehrheit im Parlament. Danach wird es eine Weile dauern, bis es soziale und gewerkschaftliche Reaktionen gibt.

Die Gewerkschaften waren bei der Präsidentschaftswahl nahezu unsichtbar. Haben sie denn noch die Macht, Widerstand gegen den neoliberalen Kurs Sarkozys zu organisieren?

Es gibt Zerfallserscheinungen bei den Gewerkschaften, das stimmt. Trotzdem existiert in Frankreich eine große Mobilisierungsfähigkeit. Erinnern Sie Sich an 1995, als es wochenlang Blockaden und Streiks gab. Es kann soziale Aufstände geben. Nicht morgen, aber übermorgen.

Die Franzosen sind sozial engagiert – etwa gegen die Aushöhlung des Kündigungsschutzes durch den Jugendarbeitsvertrag. Dann wiederum wählen sie weit rechts, wie jetzt. Was also sind die Franzosen – sozial bewegt oder erzkonservativ?

Sie sind beides. Und sie sind sehr gespalten. Zwischen den Generationen. Zwischen Stadt und Land. Es gibt in Frankreich extreme innere Spannungen

Zum Beispiel?

Nehmen Sie Dreux, die Stadt an der Grenze zwischen dem Pariser Becken und der Normandie. Die hat oft vorweggenommen, was später auf nationaler Ebene geschah. Als ich dort 1977 Bürgermeisterin wurde, war das ein Erdbeben, denn Dreux galt als rechte Stadt. Ich bekam 57 Prozent. 1983 hat in Dreux die rechtsextreme Front national viele Stimmen bekommen, die danach auch in ganz Frankreich Zulauf bekam. Dreux wird nun schon lange von der bürgerlichen Rechten regiert. Doch am Sonntag haben 55 Prozent für Royal gestimmt. Ein Vorort, der ethnisch sehr und sozial überhaupt nicht gemischt ist, hat zu fast 90 Prozent für Ségolène Royal gestimmt.

Sarkozy hat im Wahlkampf das Ende der „Selbstgeißelung“ Frankreichs postuliert. Was heißt das?

Dass er so tut, als wäre Frankreich frei von Schuld und als hätten Vichy und der Algerienkrieg nie existiert. Das ist beunruhigend. Frankreich wird 2008 die Ratsherrschaft der EU übernehmen. Wenn er auch als Präsident so redet, wird er internationale Probleme provozieren.

Sarkozy hat einen „Bruch“ versprochen. Dabei ist er selbst ja ein Vertreter der alten Regierung. Womit wird er brechen?

Das ist eben die Rhetorik eines Demagogen.

Wie wird es in der Migrationspolitik unter Präsident Sarkozy weitergehen?

Mit Sarkozy als Innenminister haben wir regelrechte Ausländerrazzien erlebt. Dabei wurden Leute in Länder geschickt, die sie nur als Kinder gekannt haben. Diese Dinge werden sich nicht verbessern.

Warum ist Ségolène Royal eigentlich gescheitert?

Ist sie gescheitert? Sie hat nicht gewonnen. Aber sie hat die Demütigung der Linken von 2002 wettgemacht, denn sie ist, anders als Jospin damals, in den zweiten Wahldurchgang gekommen. Zudem gibt es eine Krise der gesamten Linken. Auch wegen der Demografie.

Sie meinen die KP?

Die KP ist am Ende. Sie hat keine soziologische Verankerung mehr. Natürlich gibt es noch Arbeiter in Frankreich. Aber die alten Genossen verschwinden.

Was war das größte Handicap von Ségolène Royal?

Ihr hat die Unterstützung der Sozialistischen Partei (PS) gefehlt. Und sie hat darunter gelitten, dass die sogenannten Elefanten, die etablierte Elite der PS, sie kaum unterstützt hat. Denn für die Elefanten war es unerträglich, dass eine Frau nicht mehr Gefährtin war, sondern eine Konkurrentin.

Wen meinen Sie?

Laurent Fabius, Dominique Strauss-Kahn … Außerdem hatte Royal keinen Apparat. Sie ist Präsidentschaftskandidatin geworden, weil die Basis der PS sie dazu gemacht hat. Aber die Basis hat keinen Apparat. Der Aufbau eines Apparats dauert viele Jahre.

Meinen Sie wirklich, dass die Mächtigen in der PS für Royals Niederlage verantwortlich sind?

Zum Teil ja.

War nur die Sozialistische Partei nicht bereit für eine Frau als Präsidentin? Oder gilt dies für die französische Gesellschaft insgesamt?

Die etablierte Elite der PS war nicht bereit dafür. Die französische Gesellschaft war es schon eher. Allerdings war ich überrascht von Reaktionen von Frauen, die nicht für Royal stimmen wollten, weil sie eine Frau ist.

Wie erklären Sie sich das?

Ségolène Royal ist gelungen, was viele Frauen nicht geschafft haben – nämlich eine professionelle Karriere mit einem Leben als Frau und Mutter zu verbinden.

Wird die Kandidatur von Royal, trotz ihrer Niederlage, Spuren hinterlassen?

Das lässt sich im Moment noch nicht absehen. Aber dass eine Frau realistische Aussichten hatte, Präsidentin zu werden, war auf jeden Fall ein starker Moment im politischen Leben. Und im Leben der Frauen.

Wie geht es weiter mit der PS?

Die PS leidet daran, dass sie nicht offen ihr „Bad Godesberg“ gemacht hat. Das Projekt der PS vom letzten Parteitag ist eine schlecht zusammengeflickte Synthese zwischen „Traditionalisten“ und „Modernen“. Ségolène Royal hat immerhin versucht, einen Bruch herbeizuführen. Ich glaube, Royals Bruch geht nicht weit genug. Aber für einen Teil der Elefanten der PS war auch das schon zu viel.

Glauben Sie wirklich, dass die französischen Sozialisten ein „Bad Godesberg“ brauchen? Der Kalte Krieg ist vorbei, die alte Bundesrepublik existiert nicht mehr. Braucht die PS 2007 nicht etwas anderes als die SPD vor fünfzig Jahren?

Die PS ist in einer sehr tiefen Krise. Die Frage ist, ob sie sich auf sich selbst zurückzieht oder ob sie sich für die Gesellschaft öffnet. Die PS ist eine kleine Partei, die mehrheitlich aus Gewählten besteht, die wiedergewählt werden möchten. Als die Partei Royal zur Präsidentschaftskandidatin machte, gab es viele Neueintritte. Jetzt müssen wir sehen, ob diese Leute bleiben. Und ob zusätzliche dazukommen.

Die französische Linke ist extrem gespalten. Bei der Präsidentschaftswahl sind links von Royal sechs Kandidaten für den Élysée-Palast angetreten. Was muss geschehen, um diese Spaltungen zu beenden?

Wir brauchen einen Dialog zwischen der PS und diesen linken Parteien. Vor den Parlamentswahlen im Juni wird das nicht mehr funktionieren. Aber für die Kommunalwahlen 2008 wird für die PS kein Weg daran vorbeiführen, mit diesen Kräften zu verhandeln. Sie sind schwach. Vielleicht ist gerade das eine Gelegenheit.

INTERVIEW: DOROTHEA HAHN