Steinmeiers Schurke

Am Sonntag jährt sich zum zweiten Mal das Massaker von Andischan. Um ihren Einfluss in Usbekistan zu stärken, schweigt die Bundesregierung zu dem despotischen Regime

Marcus Bensmann ist taz-Korrespondent in Zentralasien. Seit er als Augenzeuge vom Massaker in Andischan (Usbekistan) berichtete, beschuldigt ihn die dortige Staats-anwaltschaft der Konspiration mit islamischen Terroristen.

Deutschland wirbt um die Gunst des usbekischen Präsidenten Islam Karimow, eines der weltweit ruchlosesten Menschenrechtsverletzer. Im Verbund mit der EU will es sich in dem an Rohstoffen reichen Zentralasien wirtschaftlichen und politischen Einfluss sichern. Bei der unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft geplanten Zentralasienpolitik manifestiert sich zum ersten Mal der Wille nach einer eigenständigen deutschen Außenpolitik in fernen Weltregionen. Im Kongo und in Afghanistan machen die Deutschen lediglich mit, in Zentralasiens will Berlin jedoch ausdrücklich auch in Abgrenzung zu den USA, Russland und China Akteur sein. Es geht um Wichtiges: Energiesicherheit und Antiterrorkrieg.

Als Blaupause dazu dient die im deutschen Außenamt erdachte Zentralasienstrategie. „Wir wussten, dass Saddam ein Schurke war, aber er war unser Schurke“, sagte einst ein Berater Reagans über die Beziehungen der USA zu dem irakischen Präsidenten. Dieser Maxime folgt der deutsche Außenminister Steinmeier in seiner Zentralasienkonzeption – sein Schurke ist Karimow. Ohne den Herrscher des bevölkerungsreichsten Landes zwischen Kaspischem Meer und chinesischer Grenze macht nach der Überzeugung deutscher Strategen eine Zentralasienpolitik keinen Sinn. Nach dieser Logik müssten am kommenden Montag in Brüssel die EU-Sanktionen gegen Usbekistan aufgehoben werden. Im Oktober 2005 verfügte Brüssel wegen des Massaker von Andischan einen Visabann für hochrangige usbekische Regierungsbeamte und ein Waffenembargo. Am 13. Mai 2005 hatten usbekische Truppen in der usbekischen Provinzstadt von Panzerwagen aus mehrere tausend Menschen zusammengeschossen.

Die deutsche Öffentlichkeit, die sich sonst zu Recht über die Doppelbödigkeit der US-Politik empört, zeigt für Steinmeiers fragwürdige Partnerwahl in Zentralasien keinerlei Interesse. Das ist erstaunlich. Usbekistan ist seit 2002 militärischer Bündnispartner Deutschlands. Karimow bietet der Bundeswehr in Termes einen Luftwaffenstützpunkt, nicht um die Demokratie in Usbekistan zu fördern, sondern um von dort den Afghanistaneinsatz zu koordinieren. Die Bundeswehr hat damit in einem Land eine Militärbasis, deren Regierung auf die eigene Bevölkerung schießt. Die Bürger in einer Demokratie hätten die Pflicht zu hinterfragen, wo ihre Soldaten den Dienst versehen.

Die Menschenrechtslage eines militärischen Bündnispartners müsste eigentlich Gegenstand der deutschen Innenpolitik sein. Dies ist aber nicht der Fall. Das brutale Regime in Usbekistan löst weder in den Medien noch im Bundestag Debatten aus. Es gibt keinerlei Protestkundgebungen vor der usbekischen Vertretung. Als Folge dieser Ignoranz agiert die deutschen Außenpolitik in Zentralasien ohne demokratische Kontrolle.

Seit sich Steinmeier Usbekistan als Partner ausgeguckt hat, gingen die Repressionen in dem Land weiter. Die usbekische Bevölkerung wird ausgebeutet und unterdrückt. Journalisten und Menschenrechtler werden verhaftet, in Psychiatrien gesteckt und gefoltert. Tausende Usbeken fristen, als angebliche Islamisten denunziert, ihr Leben in Lagern. Politische Gefangene nutzt das Regime als Geisel für politische Verhandlungen. Erst werden sie verhaftet, dann einige von ihnen freigelassen, damit sich Diplomaten im Westen über den Erfolg eines Menschenrechtsdialogs freuen dürfen.

Die USA verurteilten das Massaker von Andischan und mussten die dortige Militärbasis räumen

Vor wenigen Tagen erst wurde dieses zynische Spiel mit Umida Nijasowa gespielt. Am 1. Mai wurde die 32-jährige Usbekin, Mutter eines zweijährigen Sohns, zu sieben Jahren Lagerhaft verurteilt, weil sich auf der Festplatte ihres Computers Berichte über das Massaker von Andischan befanden. Wenige Tage nach der Verurteilung protestierte die deutsche EU-Präsidentschaft gegen die Verhaftung. Die Strafe wurde daraufhin am 8. Mai zur Bewährung ausgesetzt, Nijasowa musste aber im Gerichtssaal die Politik Karimows preisen und sich für schuldig bekennen. Usbekistan hofft nun, dass dieses Schauspiel reicht, die Sanktionen am kommenden Montag aufzuheben.

Ungeachtet des offensichtlichen Zynismus bemäntelt die deutsche Regierung die Beziehungen zu Taschkent mit Schlagworten wie „neue Ostpolitik“ und „kritischer Menschenrechtsdialog“. Das öffentliche Desinteresse erlaubt es, dass sich einzelne Politiker gar zu Claqueuren des Regimes in Usbekistan machen. Sie finden nichts dabei, eifrig in das zentralasiatische Land zu reisen und angebliche Reformen der usbekischen Regierung in der dortigen Staatspresse zu loben. Die Bundestagsabgeordnete Hedi Wegener (SPD) tat dies 2006 in der usbekischen Polizeizeitung Na postu und die Europaabgeordnete Elisabeth Jeggle (CDU) 2007 gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur Jahon.

Dabei sind in Usbekistan seit Jahren keinerlei Reformen zu beobachten. Nach dem 11. September 2001 hat die USA – wie Steinmeier heute – erklärt, dass das Regime in Taschkent reformfähig sei, und das Land im Kampf gegen den Terrorismus zum militärischen Bündnispartner erhoben. Doch das Massaker von Andischan verurteilte Washington und musste daraufhin die dortige Militärbasis räumen.

Der Menschenrechtsdialog mit Taschkent sei wichtig, sagt Steinmeier und schielt auf den geopolitischen Nutzen Usbekistans. Ein böser Irrtum. Der deutsche Flirt mit Karimow dient allein dem Regime, und dessen Willkürherrschaft gefährdet die Stabilität in der Region mehr, als es Terroristen in den Bergen des Hindukusch je könnten. Im Prinzip ist die Hinwendung Europas und Deutschlands nach Zentralasiens zu begrüßen. In der Region gibt es Länder wie Kasachstan, Tadschikistan und Kirgisien, die trotz aller Probleme Ansätze einer offenen Gesellschaft zeigen. Wobei sich in Kasachstan sogar eine Mittelschicht entwickelt hat, die man in einen Dialog einbeziehen kann. Auch in diesen Staaten wird die Presse unterdrückt, gibt es Korruption und Machtmissbrauch, aber die Unterdrückung des Staats ist nicht so total wie in Usbekistan, wo jeder, vom Bauern bis zum Händler, in jedem Bereich betroffen ist. In Kasachstan und den anderen Staaten würde der so viel zitierte kritische Dialog Sinn machen. Selbst in Turkmenistan ist nach dem Tod des Turkmenbashis Hoffnung auf Reformen zu spüren. Aber Usbekistan unter der jetzigen Herrschaft kann kein Partner Deutschlands und Europas sein. Eine Zentralasienstrategie sollte sich auf eine demokratische Einkreisung der usbekischen Despotie konzentrieren, nicht die Machterhaltung eines grausamen Despoten schützen.

In Zentralasien will Berlin ausdrücklich in Abgrenzung zu den USA, Russland und China Akteur sein

Am 14. Mai, einen Tag nach dem Jahrestag des Andischaner Massakers, gibt es eine gute Gelegenheit, das usbekische Regime in die Schranken zu weisen. Es wäre zu wünschen, dass die deutsche Öffentlichkeit einen Kniefall Steinmeiers vor dem usbekischen Tyrannen nicht durchgehen lässt und die Verschärfung der Sanktionen gegen Usbekistan einfordert.

MARCUS BENSMANN