„Wer es ausspricht, muss es nicht mehr tun“

Über Rachegefühle zu reden beugt künftigen Konflikten vor, glaubt Bosiljka Schedlich, die Gründerin des Vereins südost Europa Kultur. Sie erlebte schon in den 80er-Jahren, wie Propaganda die jugoslawische Community in Berlin zerstörte

BOSILJKA SCHEDLICH, 59, in Kroatien geboren, kam 1968 nach Westberlin. Sie studierte Germanistik und leitete unter anderem ein Wohnheim für jugoslawische Frauen. 1991 gründete sie den Verein südost Europa Kultur.

taz: Frau Schedlich, Sie sind seit 1968 in Berlin. Wann haben Sie im Verhältnis der Migranten aus Jugoslawien untereinander gespürt, dass sich die Lage in Ihrem Heimatland zuspitzt?

Bosiljka Schedlich: Es ging schon in den 80ern los. Ich erinnere mich an eine Serbin, die aus dem Urlaub zu Hause zurückgekommen ist. Sie sagte: Die Albaner vergewaltigen serbische Frauen im Kosovo. Sie gehörte wie ich zu einer Gruppe von Arbeitsmigrantinnen, die bis dahin ganz harmonisch funktionierte. Dabei haben serbische Soziologen bewiesen, dass Kosovaren im jugoslawischen Vergleich am wenigsten vergewaltigen und die Serbinnen somit auch die wenigsten Opfer darstellen. Heute weiß ich, dass man mit einer geschickten Propaganda jede Gesellschaft in einen Kriegszustand schaukeln kann.

Ist es auch bei den Jugoslawen in Berlin nicht nur bei Worten geblieben?

Leider. Ich habe miterlebt, wie Menschen sich vor einem Gericht scheiden ließen, nur weil sie aus verschiedenen Gruppen kamen. Die Eltern hätten am liebsten auch ihre Kinder mit einer Säge geteilt. Ich habe miterlebt, wie Migranten, die es in der Fremde ohnehin schwer genug hatten, sich am Arbeitsplatz gestritten und auch geschlagen haben. Es ging bei manchen so weit, dass sie fristlos gekündigt wurden. Und das in einer Situation, wo klar war: Sie kriegen nie wieder einen Arbeitsplatz.

Auch die Migrantenorganisationen begannen, sich nach der ethnischen Herkunft zu organisieren.

Im unserem Freundeskreis haben wir bald bemerkt: Jetzt gibt es verschiedene Orte, wo die Gruppen weiter manipuliert werden. Die Gründung des Vereins südost Europa Kultur war eine bewusste Entscheidung gegen diese Aufteilung. Wir wollten einen Platz schaffen, wo keiner nach der ethnischen oder religiösen Identität fragt.

Ihre Arbeit hat sich vor allem auf die 45.000 Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien konzentriert. Mit welchen Problemen kamen die Menschen zu Ihnen?

Da ging es um ganz praktische Dinge. Die Menschen brauchten eine Wohnung, einen Arzt, Geld, Hilfe bei der Befreiung der Angehörigen aus den Lagern in der Heimat. Sie brauchten Nachhilfeunterricht für ihre Kinder. Es war notwendig, Deutschkurse ebenso wie psychologische und psychiatrische Beratung anzubieten und letztendlich auch gegen die unvernünftige deutsche Flüchtlingspolitik zu kämpfen.

Entscheidend dabei war die Kultur, wie auch aus ihrem Namen hervorgeht?

Wir haben verstanden, dass wir den Glauben und das Vertrauen, die durch die Propaganda verloren gingen, nur dann wieder gewinnen können, wenn wir die Literatur, Musik und Kunst sprechen lassen. In einer solchen Umgebung können die Menschen Kräfte sammeln, um zu beschreiben, was ihnen wiederfahren ist, die Hölle, der sie entkommen waren. Wenn sie über Traumata sprechen, besiegen sie auch den Geist, der in ihnen herumgespukt. Sie können ihren Hass und ihre Rachegefühle in einem beschränkten Rahmen zulassen und auf diese Weise überwinden. Oder, wie in einer unseren Gruppen ein Mann gesagt hat: Wenn es ausgesprochen ist, muss man es nicht mehr tun. Das ist auch eine Prophylaxe gegen zukünftige Konflikte.

INTERVIEW: IZTOK ŠORI