Wellensittich in Einzelhaft

Erstaunliche Fantasie: Die Ausstellung „Gewahrsam. Räume der Überwachung“ des Deutschen Architekturmuseums erzählt von der Optimierung der Kontrolle in einem Frankfurter Polizeigefängnis

VON URSULA WÖLL

Jeder kennt die Bilder der gigantischen unterirdischen Gewölbehallen mit dicken Fenstergittern, labyrinthischen Brücken und Treppen, Ketten und Folterinstrumenten, die Giovanni Battista Piranesis in seinen 14 großformatigen Stichen „Invenzioni capric(ciosi) di Carceri“ 1749 entwarf. Mit seinen surrealen Alpträumen startet nun auch die Ausstellung „Gewahrsam. Räume der Überwachung“, die Arne Winkelmann und Yorck Förster für das Deutsche Architekturmuseum DAM in Frankfurt realisierten. Anhand von Grundrissen, Stichen, Fotos und Zitaten entwerfen sie eine Geschichte der Gefängnisarchitektur. Erstaunlich die Fantasie, mit der einst Baumeister immer raffiniertere Raumstrukturen erfanden, um die Überwachung und Kontrolle der Insassen zu optimieren. Was Michel Foucault bereits 1975 in seinem Buch „Überwachen und Strafen“ reflektierte, wird nun in der Ausstellung anschaulich dargestellt und verständlich kommentiert.

Die bewusste Gestaltung der Gefängnisse begann in Piranesis’ Zeit, als der aufklärerische Reformeifer auch die Kerkerlöcher entdeckte. Nun sollten Missetäter nicht mehr in Verließen verschmachten, sondern durch Besserung und Erziehung der Ordnung unterworfen und der Norm angepasst werden. Dazu bedurfte es einer funktionalen Architektur, die eine effiziente Überwachung der Häftlinge und ihre Isolierung garantierte, um sie auch psychisch ganz der einsperrenden Gewalt auszuliefern. Nach außen sollten die Bauten abschreckend wirken und demonstrieren, dass das Prinzip des Strafens nach wie vor dominierte.

Das 1886 im Herzen Frankfurts erbaute Polizeigefängnis Klapperfeldstraße wird all diesen Anforderungen gerecht. Der Kasten mit seinen winzigen Gitterfenstern und hohen Stacheldrahtmauern war noch bis 2002 in Betrieb und „beherbergte“ zuletzt auch viele Abschiebehäftlinge. Graffiti in allen Sprachen der Welt beweisen es: „Ich war hier am 28. 11. bis 12. 12. 1997“. Die verkommenen Einzelzellen der vier Stockwerke sind 3,50 Meter lang und 1,50 Meter breit, sodass tagsüber das eiserne Bettgestell, nachts der Tisch hochgeklappt werden musste. Nun präsentiert das DAM die Ausstellung an diesem schäbigen Ort, der gleich noch die praktische Anschauung beisteuert.

Historische Vorläufer der Gefängnisse waren Zucht- und Arbeitshäuser für Bettler, Diebe und Landstreicher, denen man die calvinistische Ethik mit drakonischen Mitteln einbläute. Als Amsterdamer Modell machte das „Rasphuis“ europaweit Furore. Seine Insassen mussten täglich zwei Kilogramm Späne des brasilianischen Rotholzes raspeln, die an Färbereien verkauft wurden. Eine Wahnsinnsmenge, wie ein großer Glaskasten mit zwei Kilo der winzigen Spänchen beweist. Unwillige wurden in den Keller gesperrt, der sich fluten ließ. Hier musste arbeiten, wer nicht ertrinken wollte, eine Handpumpe wurde ihm mitgegeben. Im 1704 vollendeten „Böse-Buben-Haus“ in Rom, in dem der Prügelbock neben dem Altar stand, trugen die Häftlinge auch Fußfesseln. Oft wurden solche Anstalten in ehemaligen Klöstern untergebracht.

Ende des 18. Jahrhunderts begann dann ein wahrer Gefängnisbauboom, der von einer Flut von Reformvorschlägen begleitet wurde. Körperliche Strafen und rohe Gewalt wurden mehr und mehr durch Disziplinierungsmaßnahmen ersetzt, für deren Zwecke man auch die bauliche Struktur nutzte. Der englische Reformer John Howard etwa propagierte Einzelzellen, um den negativen Einfluss der Häftlinge untereinander zu reduzieren und sie durch Entzug der Kommunikation verfügbar zu machen. Heute garantieren Einzelzellen einen Rest von Individualität, was die 2006 entstandenen Fotos als Ausstellung in der Ausstellung unterstreichen. Sie zeigen, wie liebevoll Häftlinge ihre Zellen gestalten. Heiko G., 6 Jahre 7 Monate, Körperverletzung, räuberische Erpressung, darf sich sogar einen Wellensittich halten. Historisch wirkten Einzelzellen zerstörerisch. Im amerikanischen Auburn maßen sie 4 Quadratmeter und waren vergittert. Wer das absolute Schweigegebot verletzte, erhielt Prügel, sodass sich Alexis de Tocqueville 1833 entsetzte: „Hier leben ein paar tausend menschliche Wesen und doch wirkt es wie eine einsame Wüstenei.“ Im 1848 eröffneten Bruchsaler Gefängnis waren Isolation und Anonymisierung noch perfekter. Die Gefangenen durften sich außerhalb der Zellen nur mit Gesichtsmasken bewegen. Wer denkt da nicht an Guantánamo, das den traurigen Schluss der Ausstellung bildet.

Viele der historischen Gefängnisarchitekten orientierten sich an dem von Jeremy Bentham 1791 entworfenen „Panopticon“, das zum Synonym für totale Überwachung wurde. Die in einem Kreis um den Wachturm mit Sehschlitzen gebauten Zellen sind zu ihm hin vergittert, aber zur Nachbarzelle durch eine Wand getrennt. Der Wächter konnte jeden jederzeit beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Der Gefangene weiß nie, ob er gerade kontrolliert wird oder nicht, und verhält sich überkonform aus Angst, seiner einzigen, wenn auch unsichtbaren Bezugsperson zu missfallen. Obwohl die Zellentrakte der meisten Gefängnisse jener Zeit in Kreuzform von einem Wachturm ausgingen, funktionierte die perfide Idee gut.

Dank digitaler Techniken muss die bauliche Anlage heute nicht mehr die Überwachung gewährleisten. Allerdings bietet die Architektur auch keinen Schutz mehr vor ihr. Zunehmend unterliegen alle gesellschaftlichen Bereiche, öffentliche wie private Räume, institutioneller Kontrolle und Überwachung. Unlängst noch Ausnahmesituation ist der überwachte Raum inzwischen weithin akzeptierter Normalzustand. Dank ihrem Wunsch nach größtmöglicher Sicherheit lässt sich die Gesellschaft nicht nur kontrollieren, sie nimmt sich selbst willentlich in Gewahrsam. In der Foucault’schen Genealogie der Überwachung steht sie nun für den den aktuellen Status quo.

Bis zum 1. Juli im Polizeigewahrsam Frankfurt, Klapperfeldstraße; www.dam-online.de