Terror-Verdächtiger oder Zeit-Totschläger

Die Bundesanwaltschaft will Ibrahim R. als Cyber-Dschihadisten anklagen. Doch der Bundesgerichtshof zweifelt

BERLIN taz ■ Die Verhaftung von Ibrahim R. sollte nur der Auftakt sein. „Wir werden verstärkt gegen die Verbreitung von Al-Qaida-Propaganda im Internet vorgehen“, erklärte Generalbundesanwältin Monika Harms im letzten Herbst. Doch noch ist Ibrahim R. der erste und einzige in Deutschland inhaftierte Cyber-Dschihadist. Und bald könnte er sogar freikommen. Denn der Bundesgerichtshof hat Zweifel, ob R. tatsächlich Terroristen unterstützt hat.

Der 36-jährige Iraker Ibrahim R. lebt in der Nähe von Osnabrück. In geschlossenen islamistischen Internet-Chatrooms hat er Reden von Ussama Bin Laden und anderen Al-Qaida-Führern verbreitet – und er gibt das auch offen zu. Im Oktober ließ ihn die Bundesanwaltschaft wegen Unterstützung von al Qaida verhaften. Seither sitzt er in U-Haft.

In den Reden, die Ibrahim R. weiterverschickt hat, wird der heilige Krieg gegen die Ungläubigen ebenso rechtfertigt wie das Köpfen einzelner Geiseln. Wer so etwas verbreitet, kann wohl wegen Billigung von Straftaten oder Gewaltverherrlichung bestraft werden. Aber ist Ibrahim R. auch Terrorist? Ussama Bin Laden und andere Terrorführer hat er nie getroffen, er hat auch keine Aufträge erhalten. Die Reden hat er sich vielmehr im Netz selbst besorgt.

Auch der BGH zweifelt, ob hier die Terror-Paragrafen des Strafgesetzbuches anwendbar sind. Zwar war früher auch das Werben für eine terroristische Vereinigung strafbar. Doch Rot-Grün hat diese als uferlos kritisierte Vorschrift 2003 eingeschränkt. Strafbar ist nur noch das Werben „um Mitglieder und Unterstützer“. Die bloße Sympathiewerbung ist kein Terrorismus mehr.

Die Bundesanwaltschaft macht es sich einfach. Wenn die Werbung nicht mehr strafbar ist, dann muss R. eben wegen „Unterstützung“ einer terroristischen Vereinigung bestraft werden. Der BGH hält das jedoch in einem der taz vorliegenden Schreiben für „fraglich“. Derzeit prüfen die Richter auf Antrag von R.s Anwalt, ob der Iraker weiter in U-Haft bleiben muss.

Für Anwalt Klaus Rüther ist Ibrahim R. „kein Terrorist, sondern ein armer Tropf“. Nach seiner Darstellung gehört R. keiner radikalen Organisation an und geht nicht einmal in eine radikale Moschee. Das Unheil habe für ihn begonnen, als er noch in München lebte. Dort geriet er erstmals in Verdacht, Unterstützer einer terroristischen Vereinigung zu sein. Dann zog R. nach Niedersachsen zu seiner Frau. Eine erste Hausdurchsuchung ergab nichts Greifbares, so dass das Strafverfahren eingestellt wurde. R. wurde aber weiter überwacht. Wegen des Polizeieinsatzes verlor R. nun seinen Job in einem Stahlwerk und schlug seine Zeit fortan im Internet tot.

Warum aber verbreitete er in den arabischsprachigen Chatrooms Bin-Laden-Reden? „Das war vor allem Geltungsbedürfnis“, sagt Klaus Rüther, „er wollte zeigen, was er gefunden hatte.“ R. merkte zwar bald, dass die Polizei ihn observierte, führte seine Internet-Aktivitäten jedoch fort. „Er war sich sicher, dass das nicht strafbar ist“, so der Anwalt.

Rüther rechnet fest damit, dass sein Mandant bald wieder frei ist. Der Fall sei von der niedersächsischen Polizei aufgebauscht worden, weil der dortige Innenminister Uwe Schünemann (CDU) vom Landtag mehr Geld für den Verfassungsschutz wollte.

Die Bundesanwaltschaft wollte den Fall nicht kommentieren. Der 3. Strafsenat des BGH unter Richter Klaus Tolksdorf wird voraussichtlich nächste Woche über die Fortdauer der U-Haft entscheiden. CHRISTIAN RATH