Aggro-Berlin: Der Längste!

Der Kampf der Kulturen ist personifiziert: B-Tight tötet seine weiße Seite. Mit "Neger Neger" stürmt der Mann vom Aggro-Label die Charts.

Immer auf dicke Hose: B-Tight Bild: Promo

Der Dildo ist 30 Zentimeter lang, schwarz und glänzend. "Bobbys Dick" steht auf der Verpackung. Bobby Dick, muss man wissen, ist ein weiteres Pseudonym von B-Tight. Der ist Rapper, sein Lieblingsthema kann man sich denken, und seine soeben erschienene zweite Platte "Neger Neger" (Aggro/Groove Attack) ist aus dem Stand in die Top Ten der deutschen Charts eingestiegen.

Die Sache mit dem Dildo, und nicht nur die, hat sich Specter ausgedacht. Der ist Chefstratege von Aggro Berlin, dem momentan kommerziell erfolgreichsten unabhängigen Plattenlabel Deutschlands. "Schwarze haben nun mal die längeren Schwänze, das ist einfach so", sagt Specter und baut erst mal einen Joint.

Oberflächlich betrachtet veröffentlicht Aggro Hiphop aus Berlin. Tatsächlich verkauft Specter über Aggro sehr erfolgreich Schockeffekte. Specter hat auch die Maske von Sido entworfen, mit der dieser neben Bushido zum erfolgreichsten Rapper der Republik wurde. Auch Fler kommt von Aggro Berlin, jener Rapper, der es mit seinem Bekenntnis zur deutschen Identität an die Spitze der Charts schaffte. Nicht umsonst leistet sich das Label in einer Kreuzberger Fabriketage ein eigenes Fotostudio, in dem die provokanten Plattencover und Promofotos entstehen, die in schöner Regelmäßigkeit Skandale auslösen.

Hier entstand auch das Cover von "Neger Neger". B-Tight hat sich den Kopf mit schwarzer Farbe bemalt und hält in der ausgestreckten Hand einen zweiten, abgeschlagenen, blutigen, aber weißen Kopf, seine symbolisierte zweite Identität. In den Plattenläden wird dieses Cover von einer Schutzhülle verdeckt. "Der eine ist der Weiße in mir, der andere der Neger", erklärt B-Tight, "der Neger, der will raus. B-Tight wird am Ende zum Neger, weil er sauer ist. Der Neger hat dann dem Weißen den Kopf abgeschlagen und kommt jetzt raus. Ich habe die weiße Seite in mir zerstört, und so haben wir die Offenbarung von dem Neger in mir."

28 Jahre vor der Offenbarung wurde B-Tight als Robert Edward Davis in Kalifornien geboren. Aufgewachsen ist er in Deutschland "damit, dass wir alle uns Neger genannt haben", erzählt er, selbst von eher blassem Teint, "ich bin ein Neger, du bist ein Neger, wir alle sind Neger, verstehst du?" In der Kunstfigur B-Tight fokussieren sich stereotypisierte Gegensätze, Konflikte zwischen Schwarz und Weiß. "Der Neger ist die starke und dominante Seite in mir, die viel Kultur hat. Die weiße Seite ist unsicher, ängstlich, hat keine oder eine eklige Geschichte. Spätestens seit dem 11. September 2001 ist dieser Konflikt ja auch überall spürbar." Der Kampf der Kulturen findet jetzt also auch in einem Berliner Rapper statt.

Wenn er nicht gerade zum Neger wird, ist B-Tight allerdings ein eher ruhiger Typ im typischen Schlabberlook der Hiphopper. Unter dem Ärmel kriechen ein paar Tätowierungen hervor. Sichtbar stolz ist er auf den schwarzen Dildo, denn wer in der Hiphop-Szene den Längsten hat, der gilt was. Und einer, dessen bestes Stück sogar in Plastiknachbildungen kursiert, der gilt noch mehr. Munter drauflos erzählt er von Groupies, die jedem seiner Freunde einen blasen wollen, und von Müttern, die persönlich ihre Töchter Backstage vorbeibringen und auch noch selbst rangenommen werden wollen. Geschichten, die man angeblich halt so erlebt als erfolgreicher Rapper aus Berlin, der seinen Songs unzweideutige Titel wie "In den Mund!!!" gibt.

Dreht sich das Gespräch nicht um Sex, lässt Specter B-Tight nur ungern für sich allein sprechen. Er zieht an seinem Joint und redet auch dann, wenn man ausdrücklich B-Tight eine Frage gestellt hat. Specter will, dass man nicht nur einen Rapper seines Labels versteht, sondern auch das große Ganze, die Philosophie von Aggro. Er will, dass man weiß, dass Aggro vor allem ein Sprachrohr der von dieser Gesellschaft Ausgeschlossenen ist. "Wir", sagt er, "haben uns ungefragt einfach selbst integriert."

Die Reaktionen auf eine Anzeige, die Aggro für "Neger Neger" im Branchenblatt Musikwoche geschaltet hatte, waren dann auch ungewöhnlich heftig. Vertreter der deutschen Musikindustrie kannten plötzlich kein Halten mehr. "Was kommt als Nächstes? Wird dann ein Jude angezündet?", fragte einer. Von "einer absoluten Zumutung" war die Rede: "Geschmackloser geht es nicht." Andere wollten nicht mehr "spätpubertierende Berliner Volldeppen beim rassistischen Köpfeabhacken zusehen".

Specter, der das Covermotiv von "Neger Neger" entworfen hat, ficht das nicht an: "Keiner von denen hat sich jemals die Musik von B-Tight angehört", behauptet er. "Das sind alles Neider und Heuchler, die uns den Erfolg nicht gönnen." Natürlich weiß er, dass er es mal wieder geschafft hat: Jede Aufregung ist gut für ihn und B-Tight. Die Aufregung ist Teil der Inszenierung. Kalkulierte Tabubrüche sind das Erfolgsrezept von Aggro. Dennoch nimmt man bereitwillig die Opferperspektive ein: Aggro stilisiert sich zum Underdog aus Berlin-Kreuzberg, umstellt von Feinden. Dabei verfolge man doch, so Specter und B-Tight treuherzig, in erster Linie künstlerische Visionen. Zugegeben, Visionen, die sich bei Splatter-Filmen und rassistischen Stereotypen bedienen.

"Der Neger", den B-Tight so überzeugend verkörpert, nennt Specter seine "Lieblingsfigur" aus dem Hause Aggro. Ganz so, als wäre er ein Comiczeichner und der "Neger" ein von ihm erdachter Superheld, eine Kunstfigur wie Superman oder Batman, die sich wie diese ihrer weniger starken Alltagsidentität immer wieder aufs Neue entledigen muss, um gegen das Böse in der Welt zu kämpfen.

Bereitwillig spielt B-Tight mit rassistischen Urängsten vor dem zornigen schwarzen Ghettokrieger, der sich nicht integrieren lassen will, sondern gewaltsam gegen die weiße Mehrheitsgesellschaft in Deutschland aufbegehrt. Dass man seine Figur auch in die unselige Tradition des Minstrels stellen kann, wo Weiße sich Anfang des letzten Jahrhunderts das Gesicht schwarz bemalten und sich zur Belustigung eines weißen Publikums affenartig gebärdeten, davon will B-Tight nichts wissen. Über derartige Kontexte habe er sich keine Gedanken gemacht, er sei schließlich "kein Prediger".

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