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: Bekenntnis zu prägnanten Autorenpositionen

Das große Schaulaufen an der Croisette: Die 60. Filmfestspiele von Cannes eröffnen mit Wong Kar-Wais „My Blueberry Nights“

Heute Abend eröffnet Wong Kar-Wais neuer Film „My Blueberry Nights“ das Filmfestival von Cannes. Das feiert in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag, und passend zur Gelegenheit lässt sich das Programm, das der Festivaldirektor Thierry Frémaux und seine Mitarbeiter zusammengestellt haben, vielversprechend an. Der Wettbewerb versammelt Regisseure wie Alexander Sokurov, Ulrich Seidl, Béla Tarr, Catherine Breillat oder Fatih Akin. Die Auswahl steht zwar nicht für Experimentierfreude oder die Lust am Unbekannten, wohl aber vereint sie prägnante, eigenwillige Autorenpositionen – Positionen, die ihre Relevanz auf der Weltkarte des Kinos so nachdrücklich behauptet haben, dass man den jeweils neuen Filmen fast automatisch mit Spannung entgegensieht.

Wong Kar-Wai, zuletzt mit dem zum Zeitpunkt der Premiere noch nicht ganz fertigen „2046“ an der Croisette vertreten, bewegt sich mit „My Blueberry Nights“ auf neuem Terrain, insofern er den Film in den USA gedreht hat, mit der Sängerin Norah Jones in der Hauptrolle und Natalie Portman, Jude Law und Rachel Weisz in Nebenrollen. Der Regisseur aus Hongkong beschreibt den Film im Gespräch mit den Cahiers du cinéma als „sentimental journey“ – eine Reise von Los Angeles nach New York, mit Stationen in Nevada und Memphis. In Detroit wollte er drehen, doch die Stadt, die ihm im Winter „von einer großen Traurigkeit“ gezeichnet und deshalb „sehr bewegend“ erschien, sei ihm „düster, unfilmbar“ vorgekommen, als er im Sommer dorthin zurückkehrte.

Wong Kar-Wais Film ist nicht der einzige, der in den USA entstand; die diesjährige Auswahl setzt auf eine starke Präsenz US-amerikanischer Filmemacher. Die Coen-Brüder, Michael Moore, Quentin Tarantino, Steven Soderbergh, Abel Ferrara, Harmony Korine, Gus Van Sant, David Fincher und andere sind quer durch die Sektionen vertreten; Martin Scorsese reist an, um eine Meisterklasse zu geben. Anders als in den Vorjahren, als ein Blockbuster aus Hollywood nicht fehlte (2006 eröffnete das Festival kläglich mit „The Da Vinci Code“, und in den Jahren davor liefen mit „Shrek“ oder „Star Wars“ vergleichbare Superproduktionen), dominiert auch hier die Position des auteurs – desjenigen, der in oder am Rand von Hollywood an einem eigenständigen Oeuvre arbeitet.

Tarantinos „Death Proof“ etwa macht – darin dem Vorgänger „Kill Bill“ verwandt – aus seiner Liebe zu den B-Pictures der 70er-Jahre keinen Hehl und legt dabei den verborgenen feministischen Kern der Exploitation frei; Finchers auf einem wahren Kriminalfall beruhender Thriller „Zodiac“ scheint auf den ersten Blick im Genre des Serienmörder-Films aufzugehen, auf den zweiten Blick jedoch spielt er das Genre gegen sich selbst aus, indem er dort, wo anderswo eine Auflösung steht, nichts als Leere finden kann.

Filmemacher aus Deutschland sind in diesem Jahr an der Croisette vergleichsweise gut vertreten – Fatih Akin ist mit „Auf der anderen Seite“ im Wettbewerb eingeladen, Robert Thalheim mit „Am Ende kommen Touristen“ in der Sektion Un certain régard, Volker Schlöndorff mit „Ulzhan“ in einer Sonderreihe zu Ehren des 60. Festivalgeburtstags, Nicolas Wackerbarth in der Sektion „Cinéfondation“ mit dem Kurzfilm „Halbe Stunden“ und schließlich Jan Bonny mit „Gegenüber“ in der Quinzaine des Réalisateurs. Beim deutschen Empfang in der Villa Babylone am kommenden Montag wird das den Rednern sicher wieder genügend Anlass geben, kraftmeierisch von „Stolz“ und „neuem Selbstbewusstsein“ zu sprechen. Doch davon – das steht außer Frage – lässt man sich weder den Spaß noch die Erwartungen verderben. CRISTINA NORD