zwischen den rillen
: Gott und Sex und der Alltag

Zwei Soul-Compilations führen zurück in die Siebzigerjahre und erhellen zugleich die dunklen Flecken des globalen Dorfes

Das globale Dorf macht’s möglich: Wir hören Musik aus Tunesien und Polynesien, wir lauschen dem Tröten mongolischer Schafhirten und dem Flöten der Wale. Doch dort, wo die Welt immer dichter zusammenrückt, entstehen auch neue dunkle Flecken und das ausgerechnet in den Zentren der digitalen Revolution. So dominiert der „Chitlin’ Circuit Soul“ zwar die Radiostationen im Süden der USA, ist aber schon nördlich der Mason-Dixon-Linie weitgehend unbekannt.

Die Anthologie, die der Journalist Jonathan Fischer mit „Motel Lovers“ für das auf solche Außenseiterthemen spezialisierte Münchner Label Trikont kompiliert hat, führt ein in ein Genre, das wie in einer Enklave konserviert wurde, unbehelligt von äußeren Einflüssen. Dieser Soul hat eine seltsame eckige Eleganz und ganz entschieden nicht den Glamour der funkelnden R&B-Produktionen, die heute die Charts dominieren. Deutlich sind die Haupteinflüsse zu hören, der Blues und der Funk.

So ist „Motel Lovers“ zwar auch eine Zeitreise zurück in die Siebzigerjahre, als die Afros wucherten, die Plateausohle erfunden wurde und ein neues schwarzes Selbstbewusstsein sich ausdrückte in Politik und Pop. Doch diese Aufbruchzeit schwingt nahezu ausschließlich musikalisch durch den Chitlin’ Circuit. Den politischen Soul hat derselbe Jonathan Fischer bereits vor fünf Jahren mit „Black & Proud – The Soul of the Black Panther Era“ zusammengestellt.

„Motel Lovers“ dagegen versammelt Songs mit einer grundsätzlicheren, allgemeingültigeren, mithin zeitloseren Idee von Soul. Die Stücke sind zwar mitunter erst wenige Jahre alt, aber handeln stets von der klassischen Ambivalenz des Genres, der diffizilen Balance zwischen Religiosität und Trieb. Gott und Sex beherrschen den Alltag, und stets ist es der Alltag, der besungen, beklagt, gefeiert wird. Bobby Rush analysiert in „Night Fishin‘“ die Freuden des Wels-Angeln, Sir Charles Jones begrüßt in „Friday“ das Ende der Arbeitswoche und Marvin Sease geht in „Motel Lover“ fremd. Die schwergewichtige Big Cynthia gibt in „Don’t Rock The Boat“ Männern gut gemeinte Ratschläge zum Sex mit kräftig gebauten Frauen, Denise LaSalle beklagt sich in „Long Dong Silver“ über einen schlappen Liebhaber: „You told that you would ride me like a mule“.

So entspinnt sich eine Art Südstaatenversion des urbritischen Kitchen-Sink- Realismus, der mehr erzählt über die Region, als manche Sozialreportage es könnte. Einziger, minimaler Schwachpunkt, dass im – wie von Trikont gewohnt – überaus informativen CD-Inlet die Covers der Originalplatten nur Schwarz- weiß abgedruckt sind, denn schließlich glänzen die im wahrsten Sinne des Wortes mit einer sehr eigenen, auf kreischige Farben und billiges Layout setzenden Ästhetik.

Gerade die hat es wiederum „Soul Talkin‘“ angetan. Stilecht und luxuriös in der Aufmachung, werden hier allerdings kaum mehr als die bekannten Klischees noch einmal transportiert. Nicht umsonst trägt die Compilation den Untertitel „The Way To Get Down“ und rekurriert damit auf die angeblich aphrodisierende Wirkung von Soulmusik. Der vom Hamburger DJ-Duo Lee Armstrong Express zusammengestellte Sexsoundtrack ist weitgehend von Koryphäen wie dem James-Brown-Kollaborateur Bobby Byrd oder dem Miles-Davis-Keyboarder Lonnie Liston Smith eingespielt. Die Songs bedienen allesamt einen Stil: tanzbaren Soul auf Funk-Basis im Uptempo. Das funktioniert vorzüglich als Beschallung für eine Retro-Party, aber lässt – im Gegensatz zu Trikont-Veröffentlichungen – jede akademische Verantwortung vermissen. Eine historische Einordnung, überhaupt aussagekräftige liner notes sucht man vergeblich. Ja nicht einmal zu Angaben darüber, aus welchem Jahr die Aufnahmen stammen, hat man sich herabgelassen. Dabei wurden einzelne Stücke ausdrücklich für diese Compilation aufgenommen, während andere aus den späten Siebzigern stammen. Das allerdings erfährt man nicht von der CD, sondern, dem globalen Dorf sei Dank, aus dem Internet.

THOMAS WINKLER

„Motel Lovers – Southern Soul from the Chitlin‘ Circuit“ (Trikont/Indigo); „Soul Talkin’ – The Way To Get Down“ (Edel)