Karriereknick Wahl?

Die Wähler haben die CDU abgestraft. Doch nicht für alle Amtsträger mit falschem Parteibuch bedeutet das sozialen Abstieg. Einige nutzen die Chance zum Neubeginn: Die taz kennt heute schon die weiteren Lebensläufe des Personals von gestern

von Benno Schirrmeister

Was wird aus wem? Diese Frage treibt Bremen während der Koalitionsverhandlungen um. Dabei ist gar nicht so bedeutsam, wie welches Senatsressort vergeben wird – schließlich sind dort nur aufgehäufte Schulden zu verwalten. Wichtiger ist: Was wird aus denen, die das bisher gemacht haben? Drängend wird dieses Problem, wenn einer der bisherigen Partner ausscheidet – denn mit dem Verlust der Macht geht für Besitzer des falschen Parteibuchs auch der Zugriff aufs Versorgungsposten-Repertoire der bremischen Gesellschaften flöten. Hinter verschlossenen Türen kursiert daher eine Planskizze, immer grundiert durch die drängende Frage: Ist ein solches Schicksal Würdenträgern a. D. zumutbar? Wo bleibt die soziale Verantwortung? Denn wenn das Personal-Karussell in Schwung kommt, fallen einige runter. Und gewiss gelingt nicht allen ein so eleganter Absprung wie

Ulrich Keller

Keller? Kennen Sie nicht? Ulrich Keller war der BIG-Boss. BIG: Das ist die Bremer Investitionsgesellschaft, zuständig für die ganz großen Deals. Spacepark und so. Ohne Kellers guten Draht zur Köllmann AG – sie ruhe in Frieden – wäre der Spacepark nie zustande gekommen, oder wenigstens nie so ein Riesenknaller geworden. In der BIG also hat Keller regiert, absolut, die BIG war Keller, und Keller war BIG. Zuletzt hat er seine untrügliche Nase fürs Geschäftliche im April bewiesen, da war ihm noch Jörg Kastendiek als Senator unterstellt, und Keller hatte angeordnet, dass der ihm vorzeitig den Vertrag verlängert. Hätt’ er ja gerne. Aber dann wurde da im Parlament rumgepupt. Lästig das. Hätte früher niemand ernst genommen.

Aber Keller hat natürlich die Zeichen der Zeit verstanden und Sorge getragen für die Zukunft. Die Koalitionsverhandlungen laufen noch, da kommt das Kommuniqué: Auch zu verbesserten Konditionen steht Keller fortan nicht mehr als Geschäftsführer der BIG zur Verfügung. Sollte es die BIG weiterhin in bewährter Form geben, könnte die Geschäfte ja Wirtschaftsstaatsrat Uwe Färber abwickeln, aber das soll seine, Kellers, Sorge nicht sein. ER nämlich wechselt in den Rheingau. Ans Hofgestüt Mappen. Exklusiver Zuchtbetrieb von Rennpferden. Für den Scheich von Dubai. Die laufen an allen Premium-Rennplätzen dieser Erde. Nein, solange sich da personell nichts ändert, nicht in der Vahr, nicht in Bremen. Dafür wird der neue Mappen-Geschäftsführer im Rang eines Hofmarschalls sorgen. Jahresgehalt? Darüber verraten wir nichts. Wer der Eigentümer von Mappen ist? Immer diese indiskreten Fragen. Also gut. Weil Sie es sind. Der Besitzer heißt Jürg E. Köllmann.

Elisabeth Motschmann

Eine unerwartete Entwicklung nimmt das Leben der Kulturstaatsrätin a.D. Elisabeth Motschmann. Schon am Wahltag hatte sie angekündigt, künftig wieder zu publizieren, „Bücher“, und zwar werde das „dann aber ziemlich feministisch“. Sie hält Wort. „Das Elisabeth-Prinzip“ erscheint am 19. November 2007 – eine Abrechnung mit sowohl den klassischen Forderungen nach der Emanzipation als auch neueren revisionistischen Theorien: „Es gibt bestimmte Tätigkeiten, die eine Frau auch jenseits der Familie wahrnehmen kann und sollte“, heißt es in der 500-seitigen Kampfschrift. Dazu gehöre neben karitativen Arbeiten wie Krankenpflege, Armenspeisung, Rosenverteilen „ausdrücklich auch der Dienst in Mission und Seelsorge“. Einen Tag später stellt Martini-Pastor Jens Motschmann seinen Zweibänder „Mein Weib schweige in der Kirche“ und „Kirche ist überall“ vor.

Der innerfamiliäre Konflikt wird unüberbrückbar, als sich die ehemalige Kulturstaatsrätin der Neo-Punk-Band „Die besoffenen Visagistinnen“ als Texterin anschließt. Mit dem Album: „Kulturmasterplan“ stürmt die Formation die Charts, Platin gibt’s für die ausgekoppelte Single „Mein Feind, der (Nuß)baum“. Ihre Pflichten in der Bürgerschaft vernachlässigt Elisabeth Motschmann darum nicht: Ihretwegen drängen sich auf der Besuchertribüne bei jeder Plenarsitzung jugendliche Fans, ohrenbetäubendes Kreischen erhebt sich, wenn sie ans Rednerpult tritt, Ohnmachtsanfälle sind an der Tagesordnung. Trotzdem bescheidet sie sich in der neuen Unions-Fraktion mit Platz 2 hinter

Ronald Mike Neumeyer

Dass der keinen Job bei swb-Enordia findet, ist für viele eine Überraschung. Das Unternehmen, bei dem er bis zur Berufung zum Bau- und Umweltsenator gearbeitet hatte, verweigert jedoch die Rücknahme: Neumeyer selbst habe eine Wiederkehr von vornherein ausgeschlossen, so die Vorstände, entsprechend habe man ohne ihn geplant. Eine Verwendung für ihn gebe es nicht. Neumeyer nimmt das gelassen: „Ich hatte mit so etwas gerechnet“, sagt er, „damit kann ich leben“.

Er bewirbt sich für den Vorsitz der CDU-Fraktion und wird gewählt – aus alter Gewohnheit, wie später unter der Hand erzählt wird. Neumeyer: „Damit kann ich leben.“ Für Unruhe sorgt, dass er sich nach eigenem Bekunden „dafür einsetzt, dass die SPD merkt, dass wir auch in der Opposition ein zuverlässigerer Partner als alle anderen sind“. Er bedauere es „sehr“, nicht ganz „an die vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit Christian Weber (SPD) anknüpfen zu können, „aber an mir soll’s nicht liegen“. Die Fraktion folgt murrend dem ungewöhnlichen Kurs. Ein Karrieresprung gelingt jedoch seiner Staatsrätin

Christine Kaufmann

Von Kaufmann hatte man lange nichts mehr gehört. Ursprünglich war sie von Jens Eckhoff zur Pflege der Option schwarz-grün aus Bonn an die Weser geholt worden. Nach dessen Abschied war ihr völlige Unsichtbarkeit verordnet worden. Erstmals seit langem durchbrach sie dieses Tabu als sie, mitten in der heißen Wahlkampf-Phase, eine Altbatteriesammelbox eröffnete. Jetzt zeigt sich, dass sie die Kampagne auch genutzt hat, um alte Kontakte zu pflegen: Angela Merkel, bei der sie früher gearbeitet hatte, beruft sie zur Leiterin der Abteilung 32 des Kanzleramts – Infrastruktur und Umwelt. „Derartige schwarz-grüne Gedankenspiele können das Zutrauen in die Koalition nachhaltig erschüttern“, reagiert Umweltminister Sigmar Gabriel unwirsch.

Als Kulturstaatsminister Bernd Neumann den Rücktritt einreicht, bestellt Kaufmann beim Berliner Erzbischof auf eigene Kosten eine Missa ad laudem et gratiam Maiestatis Domini (siehe Foto).

Thomas Röwekamp

Der Spitzenkandidat der CDU lässt über seine Zukunft rätseln. Sein Bürgerschaftsmandat tritt er nicht an, seine Anwaltskanzlei lässt er schleifen, auch auf intensives Bitten verweigert er die Unterschrift unter einem hoch dotierten Vierjahresvertrag als Werbefigur für die Nürnberger Firma DG Segelflugzeugbau.

Im Spätherbst dann die Erklärung: Röwekamp tritt seinen neuen Posten als Leiter der Justizvollzugsanstalt Oldenburg an. Die von der Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) auferlegte Maßgabe: Die Anstalt ist schnellst-möglich zu privatisieren. „Das“, so Bremens Ex-Innensenator, „ist eine echte Herausforderung“. Mit seinem Röwe-Camp werde er europaweit Maßstäbe setzen, was effizientes Strafen angeht. Zugleich wolle er das Leitbild der Anstalt nur „geringfügig verändern“. Bislang lautete es: „Wir sind konsequent und liberal“, ab sofort werde es heißen: „Wir sind konsequent – nicht liberal“. Einen ersten Erfolg der beginnenden Privatisierung wird bereits im Dezember vermeldet: Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Dubaischen Hofmarschall Ulrich Keller gibt Röwekamp bekannt, das Scheichtum werde Zellen mieten, „für Individuen, die meinen, ein geordnetes Staatswesen stören zu müssen“, so Röwekamp. Mittelfristig werde Dubai im Röwe-Camp einen eigenen Block errichten lassen „mit modernsten Dunkelzellen“. „Das schafft echte Arbeitsplätze für die Region“, so der strahlende Gefängnisleiter.

Jörg Kastendiek

kann davon nicht profitieren. Ja, bis jetzt hatte es so ausgesehen, als ginge alles glatt. Mit spitzem Bleistift war man in der SPD-Parteizentrale die möglichen Folgen einer neuen Koalition durchgegangen, und es sah aus, als müsse man sich um keinen der ehemaligen Verbündeten ernsthaft sorgen. Aber: Jörg Kastendiek.

Nein, es würde nicht so sein, dass alle den ehemaligen Wirtschaftssenator im Stich lassen. Ulrich Keller etwa. Der Dubaische Hofmarschall würde Kastendiek einen Job im Rheingau anbieten: „Als Stallbursche kann er jederzeit hier anfangen.“

Kastendiek aber würde das als „unangemessen“ bezeichnen. Und er hat auch, vermittelt durch Elisabeth Motschmann, eine tolle Chance: Als Gast der „Besoffenen Visagistinnen“ feiert er zwar einen rauschenden Erfolg. Er darf bei „Mein Feind der (Nuß)baum“ den Part des Lead-Sängers übernehmen. Doch böses Erwachen: Shouting-Jörg zieht sich bei der Einspielung bereits einen Stimmbandriss zu. Inoperabel, so der Befund. In seiner Not wendet sich Kastendiek ans Hofgut Mappen. Keller, trocken: „Was soll ich mit einem Stallburschen, der nicht schimpfen kann.“ Ab diesem Moment würde Kastendiek als schwer vermittelbar eingestuft.

„Dazu darf es nicht kommen“, spricht Jens Böhrnsen ein Machtwort. Er entschuldige sich herzlich beim designierten Partner Bündnis 90/Die Grünen, es sei nicht persönlich gemeint, aber „die soziale Verantwortung“ gebiete es, einen Fall Kastendiek zu vermeiden. „Das Zustandekommen eines neuen Senats kann und darf nicht den sozialen Abstieg des einzelnen Bürgers bedeuten“, so Böhrnsen. So leid es ihm tue, „die Zukunft Bremens bleibt die große Koalition“.